Orson Hyde – Ein Ruf aus der Wüste (1842)


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Dreizehnter Artikel.
Ueber das Beten und über die Art der Anbetung.

      Das Gebet ist eine der hauptsächlichsten Pflichten
des Christen, und er ist bei jeglicher Erwägung, die seine
Ehrbegierde anfachen, oder ihm einflößen könnte, darauf
angewiesen, denn es ist gleichmäßig nothwendig zu seinem
Wachsthum und Gedeihen, so wie der Regen dem Felde.
Wo immer aber diese Pflicht vernachlässigt wird, da kann
der Geist des Herrn wohnen.
      Der Herr oder die Frau eines jeden Hauses, oder
einer jeden Familie in unserer Kirche ist verpflichtet, alle
ihre Untergebenen zu einer geeigneten Stunde des Mor-
gens und des Abends jeden Tag zusammen zu rufen,
wo sie gemeinsam vor dem Herrn knieen und Ihm ihre
innigen Wünsche im Namen Jesus darbringen. Einer
spricht bei dem Gebete, und am Schlusse desselben ant-
worten alle vereint: Amen.
      Wir haben keine eigenen Gebetes-Formen, aus-
genommen das Gebet des Herrn: »Vater unser, der
Du bist in dem Himmel« &c.
, denn ein jeder muß für
sich selbst um jene Dinge bitten, deren er bedarf, und
wir glauben, daß die einfache, ungezierte Sprache des
Herzens, von unsern Bedürfnissen geleitet, angenehmer
ist vor Gott, als alle gelehrte Beredsamkeit der Weisen
dieser Welt zusammengenommen.
      Alle Glieder unserer Kirche, sowohl alt als jung,
sind aufgefordert, ihre Gebete täglich dem Herrn in der
Einsamkeit als auch in Gemeinschaft darzubringen, und
wer immer diese Pflicht unter uns vernachlässigt, hat
Rechenschaft zu geben hierüber bei den Bevollmächtigten
unserer Kirche.
      Unser Gottesdienst fängt gewöhnlich Sonntags
Morgens zehn Uhr an. Gebet und Gesang bilden den
Eingang, und dann wird eine Rede dem Volke gehal-
ten; worauf vielleicht einige Exhortationen folgen. Meh-
rere Gesänge werden nach diesem angestimmt und somit
der vormittägige Gottesdienst um zwölf Uhr beschlossen.
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      Der Nachmittag wird mit Gesängen, Exortatio-
nen, und mit Spendung der heiligen Sakramente, als
Beicht, Abendmahl und Konfirmation, so wie auch mit
Segnung der Kinder, und andern, den Umständen an-
gemessenen Verrichtungen zugebracht.

Vierzehnter Artikel.
Ueber die Feiertage.

      Das amerikanische Gouvernement ist weder direkt
noch indirekt mit irgend einer Religion verbunden. Es
gewährt Toleranz und Schutz allen Religionen, jedoch
zeigt es keiner irgend eine vorzugweise Gunst. Es
werden übrigens aber von unsern Gouverneurs gewisse
Tage des Fastens und des Gebetes, so wie auch öffent-
licher Danksagung bestimmt und bekannt gemacht, und
das Volk zur Beobachtung derselben aufgefordert. Dieß
ist jedoch kein Gesetz, und es bleibt dem Willen des
Volkes überlassen, das aber immer Achtung genug für
seine Gesetzgeber besitzt, um mit deren Wünschen und
Bekanntmachungen überein zu stimmen, so wie jedes
Volk in Dingen thun sollte, die ihm gut und nützlich
sind.
      Diesen Tagen werden noch andere von Zeit zu Zeit
durch unsern vorsitzenden Aeltesten hinzugefügt, so wie
es die Umstände veranlassen, wo denn unter Fasten
und Beten dem allmächtigen Herrn Dank dargebracht
wird, für Seine uns überflüssig erwiesene Güte.
      Am ersten Tage in der Woche, nämlich Sonntag,
wird keine Arbeit vorgenommen. Die Kaufmannsläden
werden Samstag Abends geschlossen, und nicht wieder
geöffnet, bis Montag Morgens. Besuche machen, oder
Gesellschaften bilden, ist am Sabbath-Tage, so wie es
in Europa der Brauch ist, in Amerika durch populären
Einfluß nicht erlaubt.
      Deßhalb scheint es einem Amerikaner sehr sonder-
bar, den Sabbath meistens nur dem Vergnügen und
der Erholung gewidmet zu sehen, da es doch der Tag

      Gebetsformeln werden heute in der Kirche in höchstem Maß verachtet. Die einzigen festen Gebete sind (außerhalb des Tempels) die des Abendmahlsegnens und Taufens. Auf der Verachtungsliste ganz oben steht wegen des Bekanntheitsgrades das Vaterunser. Hier erfahren wir jedoch, daß gerade dieses Gebet fester Bestandteil der Glaubensausübung war.

      Ein weiterer Punkt, der mit Schmach betrachtet wird ist die Beichte. Auch dieses Ritual war offenbar ein fester Bestandteil der Praktizierung, sogar im Gottesdienst, und sie wird gleich unter die heiligen Sakramente gezählt. Es muß eine interessante Entwicklung gewesen sein von der Anwendung über die Abschaffung hin zur Verachtung durch die Mitglieder.


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