Orson Hyde – Ein Ruf aus der Wüste (1842)


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Erstes Kapitel.

Wie der Engel des Herrn dem Joseph Smith jun. erschien.

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      Joseph Smith jun., die Person, zu welcher der
Engel des Herrn zuerst gesandt ward
, wurde geboren
den 23. Dezember A. D. 1805 in der Stadt Sharon,
Grafschaft Windsor Vermont. Als er zehn Jahre alt
war, zogen seine Eltern nach Palmyra in den Staat
New-York. In dieser und in der nahe gelegenen Stadt
Manchester verlebte er beinahe eilf Jahre. Seine ein-
zige Beschäftigung war, den Boden zu pflügen und ihn
zu bebauen. Da seine Eltern arm waren, und eine
zahlreiche Familie zu ernähren hatten, so war seine Er-
ziehung sehr mangelhaft. Er konnte ziemlich gut lesen,
dafür schrieb er aber höchst nothdürftig, und hatte nur
geringe Kenntnisse von Redebildern. Höher reichte sein
literarisches Wissen nicht. Die meisten der Gegenstände,
welche so allgemein in den vereinigten Staaten Ame-
rika's gelehrt werden, waren ihm in jener Zeit gänzlich
unbekannt, wo er mit einer Himmels-Botschaft begün-
stigt wurde.
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      Als er sein fünfzehntes Jahr erreicht hatte, fing
er ernsten Sinnes über das Wichtige einer Vorbereitung
für die Zukunft nachzudenken an; doch schwer ward es
ihm zu entscheiden, wie er sich an ein so bedeutungs-
volles Werk zu setzen hätte. Er sah klar ein, daß es
ihm unmöglich sein würde, auf dem rechten Wege zu
wandeln, ohne ihn zuvor zu kennen; und seine Hoff-
nungen des ewigen Lebens auf einen Zufall oder eine
blinde Ungewißheit zu stützen, das wäre mehr gewesen,
als er je zu thun gesinnt war.

      Er entdeckte die religiöse Welt arbeitend unter
dem Andrange von Irrthümern, die durch ihre wider-
sprechenden Meinungen und Grundsätze den Grund zur
Entstehung so verschiedener Sekten und Parteien legten,
und deren Gefühle gegen einander nur zu oft durch
Haß, Streit, Groll und Wuth vergiftet waren. Er
fühlte daß es nur eine Wahrheit gäbe, und daß die-
jenigen, welche sie recht verständen, sie auch gleichmäßig
verständen. Die Natur hatte ihn mit einem starken,
beurtheilenden Verstande begabt, und so sah er denn
durch das Glas der Vernunft und des guten Sinnes
mit Mitleid und Verachtung auf jene Religionssysteme
hin, welche einander so entgegen gesetzt, und dennoch
alle offenbar aus den Schriften der Wahrheit gezo-
gen sind.
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      Nachdem er sich zu seiner eigenen Genugthuung
hinlänglich überzeugt hatte, daß Finsterniß die Erde
bedeckte, und grosse Dunkelheit die Völker, da verließ
ihn die Hoffnung, je eine Sekte oder Partei zu finden,
die im Besitze der reinen Wahrheit wäre.

      In Folge dessen machte er sich denn selber glau-
bensvoll an die Untersuchung des Wortes Gottes, als
die beste Art und Weise zur Erkenntniß der Wahrheit
zu gelangen. In dieser lobenswürdigen Beschäftigung
hatte er noch nicht lange fortgefahren, als seine Augen
auf folgende Stelle des heiligen Jakobus fielen: »Wenn
»Jemand von euch der Weisheit bedarf, so laßt sie
»ihn von Gott begehren, der da allen Menschen frei-
»gebig gibt und nichts vorwirft, und es soll ihm ge-
»geben werden.« – Diese Stelle betrachtete er als eine
Vollmacht zu einem feierlichen Anrufe an seinen Er-
schaffer, um vor Ihm seine Bedürfnisse ausbreiten zu
dürfen, mit sicherer Hoffnung zum gewissen Erfolge.
Und so fing er denn an, die heißen Wünsche seiner
Seele mit glaubensvoller Entschlossenheit zum Herrn
hinauf zu senden. Bei einer gewissen Gelegenheit begab
er sich in ein kleines Wäldchen nahe an seines Vaters
Wohnung, und knieete nieder zum feierlichen Gebete
vor Gott. Da machte der Widersacher verschiedene
mächtige Versuche, den Eifer seines Gemüthes zu er-
kalten. Er umnachtete seinen Verstand mit Zweifeln,
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und führte seiner Seele allerlei unpassende Bilder vor,
um ihn an der Erreichung des Gegenstandes seiner
Bestrebungen zu hindern; allein die überfließende Gnade
unseres Gottes kam ihn aufzurichten, und verschaffte
neue Triebe seinen schwindenden Kräften. Bald theilte
sich jedoch die trübe Wolke, und Licht und Friede füllte
sein geängstigtes Herz. Und von Neuem rief er wie-
der mit Glauben und Kraft des Geistes zum Herrn.

      In diesem heiligen Momente schloß sich die, ihn
umgebende Natur vor seinen Blicken, um der Darstel-
lung himmlischer und geistiger Dinge freien Raum zu
geben. Zwei glorreiche, himmlische Personen stunden
vor ihm, die sich in Gesicht und Gestalt ganz einander
glichen. Diese unterrichteten ihn, daß seine Gebete er-
hört seien, und daß der Herr beschloßen habe, ihn mit
besonderer Gunst zu beglücken. Es wurde ihm auch ge-
sagt, daß er keiner Religions-Secte oder Parthei an-
hängen solle, da alle derselben in ihrer Lehre irrten,
und keine von Gott als Seine Kirche und Sein Reich
angesehen wäre. Ferner ward ihm noch befohlen,
in Geduld zu harren bis zu einer künftigen Zeit, wo
die wahre Lehre Christi und die ganze Vollheit des
Evangeliums ihm soll geoffenbaret werden. Das Ge-
sicht
schloß sich, und Friede und Ruhe stiegen in sein
Gemüth.
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      Einige Zeit nachher als ihm diese himmlische Offen-
barungen geworden sind (in seinen früheren Jahren), ver-
fiel er in die Fehler und Eitelkeiten der Welt, welche
er später jedoch aufrichtig bereute.

      Am Abende des 21. Septembers A. D. 1823 ge-
fiel es dem Herrn sein Flehen wieder zu erhören, und
den Bitten seines Herzens zu antworten. Er begab sich
wie gewöhnlich, in dieser merkwürdigen Nacht zur Ruhe
mit dem betenden Wunsche, daß ihm wieder eine Un-
terredung mit irgend einem himmlischen Boten gewährt
werden möchte, der ihm die gewünschte Unterweisung
über seine Annahme vor Gott, so wie auch über die
zu enthüllenden Grundsätze der Lehre Christi geben würde,
der Verheißung gemäß, die ihm in dem früheren Ge-
sichte ward. Als er so fortfuhr sein Gebet dem himm-
lischen Vater zuzusenden, da füllte plötzliches Licht, gleich
dem des Tages, nur noch reiner und verklärter, das
Zimmer. Der erste Anblick war in Wahrheit, als ob
das Haus in verzehrendem Feuer stünde. Das plötzliche
Erscheinen dieses Lichtes
, hatte eine Wirkung, gleich der
eines heftigen Stoßes, auf seinen Körper, die bis an
dessen Extremitäten fühlbar war.

      Sein Gemüth jedoch fühlte sich sogleich mit Ruhe
und Heiterkeit übergoßen, und sein Zustand erhob sich
zu einem Entzücken der Freude das jede Beschreibung
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übersteigt. In derselben Minute stand eine Person vor
ihm, deren Gestalt, ohngeachtet des Lichtes, welches das
Zimmer erhellte, von noch strahlenderem Glanze um-
floßen war. Ihr Gesicht, obgleich dem Blitze ähnlich,
war lieblichen, unschuldigen und gewinnenden Anblickes,
so daß jede Furcht aus seinem Herzen verbannt war.

      Die Figur dieser Person war etwas über die ge-
wöhnliche Höhe der Männer im jugendlichen Alter;
ihre Kleidung war vollkommen weiß, und schien ohne
Nacht zu sein.

      Dieses glorreiche Wesen gab sich selber als einen
Engel Gottes kund
, gesandt auf Befehl des Herrn, ihm
zu verkünden, daß sein Gebet nun wirklich erhöret sei,
und daß er ihm die frohe Botschaft bringe, daß der
Bund, welchen Gott mit den Alten in Israel in Be-
treff ihrer Nachkommenschaft gemacht hatte, nun der Zeit
seiner Erfüllung nahe sei; daß das grosse Vorberei-
tungs-Werk zur zweiten Ankunft des Messias, seinen
Anfang nehmen werde, daß die Vollheit des Evange-
liums mit Macht unter allen Nationen gepredigt werden
werde, um ein Volk zu bilden mit Glauben und Ge-
rechtigkeit für das tausendjährige Reich allgemeinen
Friedens und ungestörter Freude.

      Diese Belehrungen wurden ihm hier gegeben, da-
mit er als ein von Gott Berufener und Auserwählter
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die wunderbaren Absichten erkenne, die Gott durch ihn
bewirken wolle. Es ward ihm auch gesagt, daß die
»Amerikanischen Indier«, Trümmer des Hauses Israel
wären, und daß selbe, als sie Jerusalem verließen, um
nach Amerika auszuwandern, ein erleuchtetes Volk wa-
ren, im Besitze der Kenntniß des wahren Gottes, seines
Segens und seiner besondern Gunst genießend. Die
Propheten und begeisterten Schriftsteller unter ihnen
waren beauftragt, eine Geschichte über die unter ihnen
statt findenden wichtigen Ereigniße zu führen, und sie
so von Generation zu Generation zu überliefern.

      In Länge der Zeit verfiel dieses Volk in große
Gottlosigkeit, und der größere Theil desselben ward
vertilgt: aber ihre Urkunden wurden auf Befehl des
Herrn durch einen ihrer letzten Propheten schützend in
den Schoos der Erde niedergelegt, um sie vor den Hän-
den der Gottlosen zu bewahren, die sie zu zerstören
suchten. Es ward ihm gesagt, daß diese Urkunden viele
heil. Offenbarungen enthielten, die zur Ergänzung des
Evangeliums gehörten, und die als Prophezeihungen im
großen Bezuge auf die Ereigniße der letzten Tage stün-
den, und daß sie ferner um der, den Alten gegebenen
Verheißung willen, die diese Urkunden niedergeschrieben
haben, zur Kenntniß der Völker gelangen müßen, um
so den Absichten Gottes zur Wiedereinsetzung ihrer Kin-
der den Weg zu bahnen.
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      Auch ward ihm versprochen, daß wenn er gläubig
befunden würde, er das hoch begünstigte Werkzeug sein
sollte, diese heiligen Dinge ans Licht zu bringen. Er
ward noch besonders aufmerksam gemacht, daß dies
Werk im einzigen Hinblicke auf Gott gethan werden
müße, und daß da keiner mit diesen heil. Schriften
vertraut gemacht werden könnte, der sich bemühen würde,
sich selbst zu erheben, bei Verwendung dieser heiligen
Dinge zu ungerechten und speculativen Zwecken.

      Nachdem der Engel dem Joseph Smith noch viele
andere Belehrungen, gegenwärtige und künftige Dinge
betreffend gegeben hatte, die aber in diesem Werke nicht
alle aufgezeichnet werden, verschwand er, und die Glorie
des Herrn mit ihm, jedoch sein Gemüth blieb beseligt
mit himmlischen Frieden.

      Bis zum anbrechenden Morgen ward dies Gesicht
noch zweimal wiederholt, und immer mit neuen Beleh-
rungen, das Vollbringen des grossen Werkes Gottes auf
Erden betreffend.

      Am nächsten Morgen ging Joseph Smith hinaus
ins Freie an seine Arbeit wie gewöhnlich; und hier er-
neuerte sich das Gesicht
zum wiederholten Male. Der
Gesandte des Herrn erschien ihm auf dem Felde und
zeigte ihm den Fleck, wo die heil. Urkunden, von deren
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Wichtigkeit er Nachts vorher schon unterrichtet worden
war, niedergelegt wurden, und er befahl ihm, sogleich
zu gehen und nach denselben zu sehen. Dem zufolge
gebab er sich an den bezeichneten Platz, welcher nicht
weit von seines Vaters Wohnung entfernt war. Es
war am 22. Sept. A. D. 1823, wo er nach einer klei-
nen Anstrengung beim Aufgraben der Erde und Hin-
wegräumung mehrerer über einander gelegter Steine,
die mit Maurerkitt verbunden waren
, endlich die heili-
gen Urkunden seinen natürlichen Augen dargegeben sah.
Während er staunend und bewundernd diese geheiligten
Schätze betrachtete, sieh ! da stand der Engel des Herrn,
der ihn vorhin schon besucht hatte, wieder an seiner Seite.
Und seine Seele ward wieder erleuchtet wie Abends
vorher, er ward erfüllet mit dem heiligen Geiste, der
Himmel öffnete sich und die Glorie des Herrn erschien
um ihn.

      Und als er so dastand in Entzücken versunken in
Gegenwart des Boten himmlischer Glückseligkeit, da
sprach der Engel zu ihm: «Sieh !» – Und als er
dieß gesagt hatte, sah Joseph Smith den Fürsten der
Finsterniß vorbeiziehen mit einem zahllosen Heere seiner
Verbündeten
; und der Himmelsbote sagte abermals
zu ihm: »Dir ist nun gezeiget worden das Gute und
»das Böse, das Heilige und Unreine, die Glorie Got-
»tes und die Macht der Finsterniß, damit du hernach
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»erkennen möchtest, die beiden Gewalten, um nicht von
»dem Bösen bethört zu werden. Sieh, was da immer
»dich zum Guten aufmuntert, das kommt von Gott, was
»es aber nicht thut, das ist vom Bösen. Er ist es, der
»der Menschen Herz mit Uebel füllt, damit sie wandeln
»in Finsterniß und Lästerung des Herrn; du aber wirst
»von nun an erkennen, daß seine Wege zum Verderben
»führen, jener aber der Heiligkeit zu Friede und Ruhe.
»Jetzt ist es dir noch nicht erlaubt, diese Urkunden in
»Empfang zu nehmen, denn es ist der Befehl des Herrn,
»daß, wenn diese heiligen Dinge erlangt werden wollen,
»es durch Gebet, Glauben und Gehorsam gegen den
»Herrn geschehen müße. Sie wurden hier niedergelegt
»als Mittel zur Anhäufung irdischen Gewinnes, oder
»zur Verherrlichung dieser Welt. Sie wurden versie-
gelt und eingegraben unter Gebeten des Glaubens, und
»haben für die Menschenkinder keinen andern Werth als
»den ihres Inhaltes. Auf ihnen ist niedergeschrieben
»die Vollheit des Evangeliums Jesus Christi
so wie es
»gegeben ward seinem Volke in diesem Lande (Amerika.)
»Und wenn es verbreitet werden soll durch die Macht
»Gottes, so wird es hingebracht werden zu den Völkern,
»die nicht aus dem Hause Israel sind. Viele derselben
»werden es annehmen, und nachher wird der Samen
»Israels gebracht werden in die Hürde ihres Erlösers,
»wenn sie diese geoffenbarten Dinge befolgen. Jene
»Vorfahren, welche die Gebote des Herrn in diesem
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»Lande (Amerika) beobachteten, erlangten von seiner
»Gnade, durch glaubensvolle Gebete die Verheißung:
»daß, wenn ihre Abkömmlinge in Irrthümer und Ab-
»fall geriethen, sie die heiligen Urkunden nicht erhalten
»möchten, sondern daß selbe aufbewahret würden bis zu
»den letzten Tagen ihrer Kinder. Diese Dinge sind ge-
»heiliget, und müssen so gehalten werden, denn die
»Verheißung des Herrn in Betreff derselben wird er-
»füllet werden. Doch Niemand wird sie erlangen, dessen
»Herz unrein ist; denn ihr Inhalt ist heilig, durch sie
»will der Herr ein großes und wunderbares Werk voll-
»bringen: Die Weisheit des Weisen soll zu nichte
»werden, und der Verstand des Klugen mit Dunkelheit
»umhüllet sein. Und wenn die Macht Gottes sich of-
»fenbaret, so werden jene, die da in Wahrheit zu wan-
»deln glauben, mit Täuschung ringen und im Aerger zit-
»tern. Die Herzen der Gläubigen aber werden mit
»Zeichen und Wunder, mit Geschenken und Heilungen,
»mit Kundmachung der Macht Gottes und mit dem
»heiligen Geiste getröstet werden. Dir ist nun gezeiget
»worden, die Macht des Herrn und die des Satans.
»Du siehst, daß nichts wünschenwerthes in den Werken
»der Finsterniß ist, daß sie keine Glückseligkeit gewähren
»können, und daß jene, welche in selbe verfallen, nur
»elend und unglücklich sind, – während auf der andern
»Seite die Gerechten beglückt werden mit einem Platze
»in dem Reiche Gottes, wo unaussprechliche Freude sie
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»umgibt. Dort sind sie erhaben über die Macht des
»Feindes der Wahrheit, und kein Uebel kann sie mehr
»stören. Die Glorie Gottes krönet sie, sie feiern ein
»ewiges Fest seiner Güte und sonnen sich in dem Lä-
»cheln seines Angesichtes. Obgleich dir geoffenbaret
»worden ist, auf welche Art du immer fähig sein wirst,
»das Böse zu entdecken, so will ich dir dennoch ein Zei-
»chen geben. Und wenn es geschehen soll, dann wisse,
»daß der Herr Gott ist, daß Er Seine Absichten voll-
»ziehen will, und daß der Inhalt dieser Urkunden zu
»allen Nationen, Zungen, Stämmen und Völkern unter
»den weiten Himmel gehen soll. Dieß ist das Zeichen:
»Wenn diese Dinge anfangen bekannt zu werden, das
»heißt, wenn es bekannt wird, daß der Herr dir diese
»Dinge gezeigt hat, dann werden die Vollbringer der
»Ungerechtigkeit deinen Untergang suchen. Sie werden
»Falschheiten in Umlauf bringen, um deinen Ruf zu
»zerstören, auch werden sie nach deinem Leben streben.
»Doch merke, daß, wenn du glaubensvoll bist, und die
»Befehle des Herrn vollziehest, du bewahrt werden wirst,
»um diese Dinge zur Kenntniß zu bringen, denn in ge-
»messener Zeit wird dir Befehl gegeben werden, zu
»kommen und sie zu holen. Wenn sie ausgelegt sind,
»so will der Herr einigen die Priesterwürde verleihen.
»und diese werden anfangen das Evangelium zu er-
»klären und mit Wasser zu taufen, auch werden sie Ge-
»walt haben, den heiligen Geist zu geben, durch Auflegung
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»ihrer Hände. Dann wird die Verfolgung immer mehr
»und mehr wüthen, denn die Bosheiten der Menschen
»werden offenbar werden, und jene, welche nicht auf den
»Felsen gebaut sind, werden die Kirche Christi zu über-
»wältigen suchen. Aber je mehr Hinderniße, desto mehr
»wird sie anwachsen, und sich ausbreiten zur Kenntniß
»der Menschen, bis sie werden geheiliget sein, und eine
»Erbschaft besitzen, wo der Ruhm des Herrn über ihnen
»verweilen wird. Und wenn dies Statt finden wird,
»und alle Dinge vorbereitet sind, dann sollen die zehn
»Stämme Israels wieder entdeckt werden in den nördlichen
»Gegenden, wo sie verweilt hatten, für so lange Zeit.
»Dann wird erfüllet werden, was der Prophet sagte.
»»Und der Erlöser wird zu Sion kommen und zu denen,
»»welche aus Jakob von der Ungerechtigkeit wieder zu-
»»rückkehren.«« – Und obgleich die Vollbringer der
»Ungerechtigkeiten deine Zerstörung suchen werden, so
»wird doch der schützende Arm des Herrn über dich
»ausgestreckt sein, und du sollst als Sieger hervor ge-
»hen aus dem Kampfe, wenn du alle Seine Gebote
»hälst. Dein Name soll gekannt sein, unter den Na-
»tionen, denn das Werk, welches der Herr durch deine
»Hände vollbringen will, wird den Gerechten zur Freude,
»den Bösen aber zur Wuth gereichen. Bei den Erste-
»ren wird dein Name in Ehren stehen, bei den Letztern
»aber zum Vorwurf sein. Ja für diese soll er ein
»Schrecken sein, um des großen und wundervollen Wer-
–   26   –

»kes wegen, das vorausgehen soll zur Vollfüllung des
»Evangeliums. Gehe nun deinen Weg, und erinnere
»dich, was der Herr für dich gethan hat. Sei eifrig
»in Befolgung seiner Gebote und Er wird dich befreien
»von den Versuchungen, Nachstellungen und Fallstricken
»des Bösen. Vergiß nicht zu beten, damit dein Ge-
»müth stark werde, auf daß du Macht habest dem Bö-
»sen zu entkommen, wenn sich der Herr dir offenbaren
»will zur Erlangung dieser köstlichen Dinge.« –

      Während der Zeitdauer der vier folgenden Jahre
empfing Joseph Smith noch manche Belehrung aus
dem Munde des himmlischen Boten. Und am Morgen
des 22. Septembers A. D. 1827 erlaubte ihm der
Engel des Herrn, diese Urkunden in Empfang zu neh-
men. Diese waren auf gleichförmige Platten eingegra-
ben, welche wie Gold erschienen. Jede Platte war bei-
nahe 7 Zoll breit, und beinahe 8 Zoll lang, und an
Dicke etwas geringer als gewöhnliches Blech. Diese
waren eingegraben mit sauberer Schrift ähnlich den
ägyptischen Hieroglyphen und in Form eines Bandes
dreimal mit Draht zusammen geheftet, der mittelst
kleiner Löcher an den Enden durch das Ganze gezogen
war. Das ganze Buch war beiläufig 8 Zoll dick und
ein Theil desselben war versiegelt. Die Charaktere
oder Buchstaben des unversiegelten Theiles waren (nach
den Worten Mr. Pratt, aus dessen Schriften ich vor-
–   27   –

hergehende Erzählung entnommen) klein und künstlich
schön eingegraben. Der ganze Band trug viele Anzei-
chen des Alterthums so wie der Geschicklichkeit im
Graviren. Mit den Urkunden wurden zwei durchsichtige
Steine gefunden, klar wie Krystall, die von den Män-
nern der Vorzeit »Seher« genannt, gebraucht wurden.
Die Art, auf welche sie selbe benützten, war folgende:
Diese zwei Steine, genannt Urim und Thummim, im
Durchmesser einer englischen Krone (Münze) nur etwas
dicker, wurden dahin gelegt, wo alles Licht ausgeschlos-
sen war
. Die handelnden Personen opferten alsdann
ihre Gebete dem Herrn und die Antwort erschien, ge-
schrieben mit Buchstaben des Lichts auf den Urim und
Thummim
, verschwand aber sehr bald wieder. So:
»Kam Licht in Finsterniß, allein die Finsternisse be-
griffen es nicht.« – Auf diese Art wurden diese ge-
heiligten Urkunden ins Englische übersetzt.



——«·»——



      Wie bereits angemerkt steht in diesem Kapitel die Erscheinung eines Engels im Vordergrund, wie aus der Überschrift und dem ersten Satz hervorgeht. Legen wir die Tatsache zugrunde, daß 1832 erstmals von einer ersten Vision die Rede war und dabei nur eine Person gesehen wurde, ist dies nicht verwunderlich. Allerdings entwickelte sich diese Geschichte von da an derart, daß letztlich Gott Vater und sein Sohn erschienen, wie es heute in der Kirche gelehrt wird. Die erste Veröffentlichung dieser Geschichte erschien etwa zu gleichen Zeit wie dieses Buch, immerhin 22 Jahre nach dem angeblichen Ereignis. Bis dahin wurde den Mitgliedern lediglich von einer Engelserscheinung im Zusamenhang mit den goldenen Platten berichtet. Daher war dies in den Köpfen der Mitglieder der Ausgangspunkt der Kirche und nicht eine erste Vision. In diesem Licht ist der Ansatzpunkt Hydes auch vollkommen einleuchtend.

      Dennoch zeigt Hyde, daß er als Apostel gut informiert ist und nimmt die erste Vision trotzdem in seinen Bericht auf. Auf die Unterschiede soll hier nur wegen der Bedeutung, die die Kirche dem angeblichen Ereignis in heutiger Zeit beimißt, näher eingegangen werden. Joseph hatte sein fünfzehntes Jahr erreicht. Das kann nicht gleichgesetzt werden mit ‘im fünfzehnten Lebensjahr sein’ und bedeutet daher, daß er fünfzehn Jahre alt war, im Gegensatz zu vierzehn der heutigen Darstellung. Weiterhin wird darauf hingewiesen, daß Joseph bereits vor der Vision entschieden hatte, daß keine Gemeinschaft die volle Wahrheit hatte. Das stimmt mit zeitigen Berichten überein, widerspricht aber späteren Darstellungen, wonach Joseph von sich aus nie auf so einen Gedanken gekommen wäre. Weiterhin räumt Hyde ein, daß es sich um ein Gesicht handelte, das weit ab von der Realität stattfand. Heute stellt die Kirche das Ereignis gern als eine vollkommen klare und greifbare Begebenheit dar. Der Knackpunkt ist jedoch die Darstellung, daß von zwei himmlischen Personen die Rede ist, die eine Nachricht vom Herrn überbringen. Damit kann es nicht der Herr gewesen sein, und die strikte Anonymität dieser Personen bleibt gewahrt, offenbar waren es unbedeutende Boten. Falls Hyde eine Identifizierung mit Gott Vater und Christus bekannt gewesen wäre, hätte er dies mit Sicherheit nicht verschwiegen. Dieses Buch belegt in klarer, unwiderlegbarer Weise, daß es die Geschichte von der ersten Vision bei Gründung der Kirche und lange danach noch nicht gab und sich erst später entwickelt hat.

      Zum Besuch des Engels am 21. September 1823, von dem um die Zeit der Kirchengründung bereits gesprochen wurde, ist vor allem anzumerken, daß dieser zwar vielfältig umschrieben wird, aber nie ein Name genannt wird. Es könnte sich hier um eine Vorsichtsmaßnahme Hydes handeln, da in der Geschichte zwei Namen auftauchen, nämlich Nephi und Moroni, zudem noch ein kleiner Dämon, so daß ein namenloser Engel die sichere Seite darstellte. Das Problem wird uns im nächsten Kapitel wieder begegnen. Weiterhin gibt es noch einige technische Unterschiede. So ist von einem plötzlichen Licht die Rede, während heute von einem allmählich anwachsenden Licht gesprochen wird. Die Erscheinung am nächsten Tag soll auf dem Feld stattgefunden haben, nicht am Zaun um ein Feld herum, und Josephs Vater wird ebenfalls nicht erwähnt. Die ausführliche Darstellung mit den Heeren Satans fand auch keinen Eingang in die offizielle Version.

      Ein weiteres deutliches Anzeichen für die Gewichtung der beiden Berichte stellt ihre Länge dar. Während den Ereignissen vom 21./22. September neun Seiten zur Verfügung stehen, nimmt die erste Vision gerade mal eine einzige ein.

      Zum Abschluß wird noch ein interessanter Hinweis zur Übersetzungsweise der goldenen Platten gemacht. Heute verbildlicht die Kirche diese Art gern dadurch, daß Joseph angestrengt auf das Brilleninstrument sieht, das auf den Platten liegt, während Oliver seine Zitate niederschreibt. Die hier vorliegende Beschreibung ist wesentlich näher an der Wahrheit. Joseph zog sich seinen Hut über das Gesicht und sah hinein. Darin war allerdings meist sein Seherstein und nicht der Urim und Thummim platziert. Da die Platten dabei meist in ihrem Versteck lagen, kann man wieder einmal sehen, wie weit die heutige Darstellung von der Wahrheit entfernt ist. Dieser Bericht bestätigt die Wahrheit jedoch.


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