Parley P. Pratt – Eine Stimme der Warnung (1837)

(7. deutsche Auflage, 1923)







Eine Stimme der Warnung
und
Belehrung für alle Völker.

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Kapitel 1.
Über etliche schon in Erfüllung gegangene Prophezeiungen.

„Wir haben ein festes prophetisches Wort; und ihr tut wohl,
daß ihr darauf achtet, als auf ein Licht, das da scheint in einem
dunkeln Orte, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe
in euren Herzen. Und das sollt ihr für das erste wissen, daß
keine Weissagung in der Schrift geschieht aus eigener Auslegung.
Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen
hervorgebracht, sondern die heiligen Menschen Gottes haben ge-
redet, getrieben von dem Heiligen Geiste.“ 2. Petri 2,19–21.
Um irgend etwas aus der Schrift zu beweisen, muß zuerst
eine gewisse, bestimmte, untrügliche Regel der Auslegung aufge-
stellt werden, ohne welche sich der Geist in Ungewißheit und Zweifel
verliert, immer forschend, doch nie zur Erkenntnis der Wahrheit
zu gelangen imstande ist.
Die Vernachlässigung einer solchen Regel hat die Menschen
in die größte Verwirrung und Ungewißheit in allen ihren bibli-
schen Nachforschungen gebracht. In der Tat, solange es den
Menschen überlassen ist, das Wort Gottes zu verändern oder auf
eine geistige, ungewisse oder besondere Weise auszulegen, ist alles
Ungewißheit.
„Was aber zuvor geschrieben ist, das ist und zur Lehre ge-
schrieben, auf daß wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoff-
nungen haben.“ Gesetzt nun, es schriebe uns ein entfernter Freund
und machte uns unter gewissen Bedingungen gewisse Versprechungen,
welche, wenn wir sie erlangten, uns großen Nutzen und Vorteil
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bringen würden, so könnte man natürlich sagen, der Brief war
uns zum Nutzen und zur Lehre geschrieben, auf daß wir durch
Geduld und Trost des Briefes Hoffnung haben möchten, das Ver-
sprochene zu erlangen.
Wenn wir nun den Brief deutlich verständen, und wüßten,
was wir zu erwarten hätten, dann würde er und Trost und
Hoffnung gewähren; wenn dagegen in unserem Geiste noch irgend-
ein Zweifel oder eine Ungewißheit wäre, ob wir denselben auch
recht verständen, alsdann könnten wir keinen Gewissen Trost oder
Hoffnung aus dem Geschriebenen erlangen, da wir ja nicht wüßten,
was wir zu hoffen hätten; folglich würde der Brief zu uns gar
keinen Nutzen haben. Und so verhält es sich mit der Schrift.
Keine Prophezeiung oder Verheißung wird dem Leser eher nützen
oder Geduld, Trost oder Hoffnung in seinem Gemüte erzeugen,
bis er sie deutlich versteht, damit er genau wisse, was er zu
hoffen habe.
Die Weissagungen der Propheten sind nun ebenso deutlich zu
verstehen wie der Kalender, der eine Sonnenfinsternis vorher-
sagt, wenn nicht, so ist die Bibel von allen Büchern dasjenige,
dessen Nutzen am ungewissesten ist. Weit besser würde es alsdann
für die Menschen gewesen sein, wenn der große Schöpfer unseres
Daseins seinen gefallenen Kreaturen nichts geoffenbart hätte, als
ein Buch zu offenbaren, welches sie im Zweifel und Ungewißheit
ließe, und miteinander von einem Zeitalter zum andern über die
Bedeutung seines Inhalts zu streiten.
Daß eine solche Ungewißheit und ein solcher Streit während
ganzer Zeitalter gewesen ist, wird niemand leugnen. Die Weisen
und Gelehrten waren stets uneinig, und noch herrscht eine große
Uneinigkeit unter ihnen betreffs einer richtigen Auffassung der
Prophezeiungen. Woher rührt nun diese Meinungsverschieden-
heit? Entweder sind die Offenbarungen selbst mangelhaft oder
die Menschen sind schuld daran. Aber zu sagen, eine Offenbarung
ist selbst mangelhaft, hieße Gott der Torheit zeihen; Gott behüte,
die Menschen müssen Schuld daran sein.
Es gibt zwei große Ursachen für diese Blindheit, welche ich
jetzt angeben werde. Die erste ist: Die Menschen sind der Mei-
nung, daß eine unmittelbare göttliche Eingebung durch den Heiligen
Geist nicht für alle Zeiten der Kirche beabsichtigt war, sondern nur
für die erste Zeit. Da sie die Schrift erfüllt wähnten, alles Nötige
geoffenbart sei und daß der Geist, welcher zu aller Wahrheit
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führt, nicht länger für die Leute wäre, daher suchten sie ihrer
eigenen Weisheit und Gelehrsamkeit das zu verstehen, was immer
nur durch den Geist der Wahrheit verstanden werden konnte;
„denn niemand weiß, was in Gott ist, außer der Geist Gottes“.
Die zweite Ursache ist: Da sie den Geist der göttlichen Ein-
gebung verloren hatten, so fingen sie an, ihre eigenen Meinungen,
Überlieferungen und Gebote aufzustellen und gaben während den
letzten siebenzehnhundert Jahren Belehrungen und besondere Aus-
legungen über das Wort Gottes, anstatt an die geschriebenen
Dinge zu glauben.
Und sobald als sie von der wörtlichen Bedeutung abwichen,
war die Meinung oder Auslegung eines Mannes ebensogut wie
die eines andern; alle hatten dieselbe Vollmacht, und daher ent-
stand die ganze Finsternis und das Mißverständnis über diese
Punkte, wodurch die Welt während den letzten siebenzehnhundert
Jahren beunruhigt worden ist.
Unter den mannigfaltigen Dingen, welche die Aufmerksamkeit
der Menschen auf sich lenken, ist eine Sache von größerem Werte
als alle anderen. Ein Grundsatz, welcher, wenn man ihn einmal
besitzt, von großem Nutzen sein würde, um alles andere Wünschens-
werte zu erlangen, gleichviel, ob Macht, Reichtum, Ehren, Throne
oder Herrschaft. Verhältnismäßig wenig haben es je besessen,
obgleich es von vielen andern erlangt werden konnte, aber entweder
bemerkten sie es nicht mehr kannten seinen Wert nicht. Es hat
Wunder getan für die wenigen, die es besessen haben. Einige
errettete es vom Ertrinken, während alle, die es nicht besaßen, in
den mächtigen Fluten ihr Grab fanden. Andere errettete es vom
Hungertode, indes Tausende um sie her umkamen; durch dasselbe
gelangten die Menschen oft zu Staatswürden; ja noch mehr, einige
erlangten sogar die Herrschaft über Reiche.
Der Besitz desselben hat bisweilen Menschen aus den Kerkern
im Paläste versetzt; und es gibt Beispiele, in welchen diejenigen,
die es besaßen, dem Hungertode entgingen, während Städte zer-
stört wurden und alle andern umkamen. Wenn eine Stadt oder
ein Volk durch Hungersnot oder durch das Schwert vernichtet
wurde, so entkamen häufig nur diejenigen unverletzt, die es besaßen.
Der Leser wird jetzt fragen, was kann wohl jenes Ding sein?
Nenne es mir, ich will es kaufen, und wenn ich alle meine irdi-
schen Schätze opfern sollte. Wohlan, lieber Leser, dieser
Schatz ist das Vorherwissen, eine Erkenntnis der
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zukünftigen Dinge! Laß ein Buch veröffentlicht werden,
betitelt: „Eine Erkenntnis der Zukunft“, und laß die Menschen
wirklich überzeugt sein, daß es eine gewisse, bestimmte Erkenntnis
zukünftige Dinge gibt, so daß seine Blätter die zukünftige Ge-
schichte der Völker und vieler großer Ereignisse enthüllen, gleich wie
die Geschichte der Vergangenheit Griechenlands oder Roms ent-
faltet, so würde jedes Exemplar einer großen Auflage sogleich für
einen hohen Preis verkauft werden; in Wirklichkeit würde es un-
schätzbar sein. Nun, lieber Leser, die Bücher der Propheten und der
Geist der Prophezeiung waren gerade zu diesem Zweck gegeben.
Deshalb sagt der Apostel: „Strebet aber nach den besten
Gaben; am meisten aber, daß ihr weissagen möget.“ Nachdem
nun so viel gesagt worden ist, so wollen wir jetzt das weite vor
und liegende Feld betreten und die Schätze der Weisheit und des
Wissens erforschen, welche während ganzer Zeitalter in der Finster-
nis wie ein Licht beleuchtet haben. Wir wollen Gegenden er-
forschen, die vielen unbekannt sind; wir wollen die offenliegenden
Herrlichkeiten schauen, welche sich überall zeigen; und unsere Seelen
mit dem Wissen nähren, welches seinem Wesen nach die Be-
stimmung hat, den Mut zu vergrößern, das Gemüt zu erheben,
und die Neigungen über das Kleinliche, Niedrige und Alltägliche
dieser Welt zu erheben und den Menschen durch die wachsende
Erkenntnis zur Seligkeit zu erhöhen.
Aber zuerst wollen wir über die bestimmte Regel der Aus-
legung sprechen. In dieser Hinsicht wollen wir uns nicht auf
irgendeinen Menschen oder Kommentar verlassen; denn der Heilige
Geist hat sie durch den Mund Petri gegeben. „Und das sollt ihr
für das erste wissen, daß keine Weissagung in der Schrift geschieht
aus eigener Auslegung.“ 2. Petri 1, 20.
Beim Studium der Prophezeiungen ist eine wichtige Ein-
teilung beständig im Auge zu behalten; nämlich der Unterschied
zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Der Leser
muß sich bemühen, den schon erfüllten und noch unerfüllten Teil
herauszufinden, und dabei immer eingedenk sein, daß Petri Regel
der Auslegung auf beides anwendbar ist. Wenn wir nun in
unsern Nachforschungen finden, daß jede bis auf dieses Jahr erfüllte
Prophezeiung buchstäblich erfüllt worden ist, so muß daraus
folgen, daß auch die noch unerfüllten Prophezeiungen ihre
buchstäbliche Erfüllung nicht verfehlen werden
.
Wir wollen mit der Zeit Noahs anfangen. – 1. Buch Mos. 6, 17.
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„Denn siehe, ich will eine Sintflut mit Wasser kommen lassen auf
Erden, zu verderben alles Fleisch, darinnen ein lebendiger Odem
ist, unter dem Himmel. Alles, was auf Erden ist, soll untergehen.“
In den folgenden Versen befiehlt der Herr dem Noah, in die
Arche zu gehen und Tiere allerlei Art mit hineinzunehmen usw.
– Und im 22. Verse heißt es: „Und Noah tat alles, was ihm
Gott gebot.“ Es war gut für Noah, daß er nicht mit dem neuen
System der Gottesgelehrtheit, alles geistig aufzufassen, vertraut
war, denn unter ihrem verdunkelnden Einflusse würde er niemals
geglaubt haben, daß eine so wunderbare Prophezeiung eine wört-
liche Meinung und buchstäbliche Erfüllung bedeute. Nein, man
würde ihm gesagt haben, daß unter der Flut eine geistige Flut,
unter der Arche eine geistige Arche zu verstehen wäre, und sobald
er anderer Meinung gewesen, so würde man ihn für einen
Schwärmer, Betrüger oder Toren gehalten haben; aber es verhielt
sich wirklich so, daß er eben einfältig genug war, um die Prophe-
zeiung buchstäblich zu glauben. Hier ist nun ein schönes Beispiel
des Vorherwissens, denn die ganze Welt, die es nicht be-
saß, kam durch die Sintflut um.
Die nächste Weissagung, die wir anführen wollen, steht im
1. Buch Mos. 15, 13–16. „Da sprach er zu Abraham: Das sollst
du wissen, daß dein Same wird fremd sein in einem Lande, das
nicht sein ist; und da wird man sie zu dienen zwingen und plagen
vierhundert Jahre. Aber ich will richten das Volk, dem sie dienen
müssen. Darnach sollen sie ausziehen mit großem Gut. Und du
sollst fahren zu deinen Vätern mit Frieden und in gutem Alter
begraben werden. Sie aber sollen nach vier Manns-Leben
wieder hierher kommen, in die Missetat der Amoriter ist noch
nicht voll.“
Die harte Behandlung der Kinder Israels während vierhundert
Jahren, ihr Auszug mit großem Gut, die Gerichte Gottes über
Ägypten, ebenso wie der Tod Abrahams in gutem Alter sind
zu wohl bekannte Tatsachen, als daß sie noch einer weiteren Er-
örterung bedürften; es genügt zu sagen, daß dies ein überzeugen-
des Beispiel genauer Erfüllung der Prophezeiungen ist, die mehr
als vierhundert Jahre vor ihrer Erfüllung gemacht worden sind.
Daraus entnehmen wir nun, daß keiner von jenen alten Männern
etwas von dem neuen System einer geistigen Auffassung wußte.
Unsere nächste Stelle steht im 1. Buch Mos. 19, 12–13.
„Und die Männer sprachen zu Lot: hast du noch irgend hie einen
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Eidam und Söhne und Töchter, und wer dir angehört in der
Stadt, den führe aus dieser Stätte. Denn wir werden diese
Stätte verderben; darum, daß ihr Geschrei groß ist vor dem Herrn,
der hat uns gesandt, sie zu verderben.“ Lot, einfältig genug,
diese Dinge wörtlich zu nehmen, nahm diejenigen seiner Familie,
die ihm folgen wollten, mit sich und rettete so sein Leben; ohne
Zweifel zur großen Belustigung der Sodomiter, die ihm wahr-
scheinlich nachsahen und schrien: „Täuschung, Täuschung!“ da sie
die ganze Prophezeiung nur für ein Bild hielten. Hier ist nun
ein Beispiel, wie ein Mann den Flammentode durch Erkennt-
nis zukünftiger Dinge,
die ihm verliehen war, entkam,
indes die ganze Stadt unterging. O, welcher Segen war es für
Lot, daß er nichts von der neuen Art, Prophezeiungen auszulegen,
wußte. Wenn es ihm in den Sinn gekommen wäre, aus Sodom
geistig, anstatt wörtlich herauszugehen, so würde es ihm das Leben
gekostet haben.
Wir wollen jetzt eine Prophezeiung Josephs im Lande Ägypten
prüfen, 1. Buch Mos. 41, 29–31. „Siehe, sieben reiche Jahre
werden kommen in ganz Ägyptenland. Und nach denselben werden
sieben Jahre teure Zeit kommen, daß man vergessen wird aller
solcher Fülle in Ägyptenland; und die teure Zeit wird das Land
verzehren, daß man nichts wissen wird von der Fülle im Lande vor
der teuren Zeit, die hernach kommt; denn sie wird sehr schwer sein.“
Joseph fährt dann fort, Anweisungen zu geben, Korn in gro-
ßer Menge während der sieben fruchtbaren Jahre aufzuspeichern,
um vor der kommenden Hungersnot geschützt zu sein. Und Pharao,
der in der Schule der neueren Gottesgelehrtheit nicht besser als
seine Vorgänger bewandert war, dachte nicht einmal daran, sie
anders als ganz buchstäblich aufzufassen
. Und so
diente er und Joseph in Gottes Hand dazu, nicht nur ihr Volk,
sondern auch das Haus Israel vor der Hungersnot zu retten.
Dies ist ein anderes überzeugendes Beispiel von der Macht des
Vorherwissens. Er rettete nicht nur vor Hungersnot, son-
dern es erhöhte auch Joseph aus den Kerker in den Palast; von
der tiefsten Erniedrigung zu der höchsten Ehre, so daß man vor
ihm schrie: „Beuge deine Knie!“ Aber ach! was für ein Tod und
eine Trauer wäre eingetreten, wenn sie nur von einer geistigen
Hungersnot und einem geistigen Korne geträumt hätten.
Nachdem wir nun einige deutliche Beispiele aus früheren
Zeiten gegeben haben, so wollen wir oberflächlich einige von den
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merkwürdigsten Ereignissen berühren, die prophezeit und erfüllt
worden sind, bis wir zu den jüdischen Propheten kommen, wo sich
ein weites Feld eröffnet, das in seinem Laufe die merkwürdigsten
Ereignisse aller Zeiten berührt und mit einer vollständigen Ent-
hüllung der Herrlichkeiten endigt, die sich in den letzten Tagen
auftun werden.
Ein merkwürdiges Beispiel aus dem Leben des Propheten
Elia ist, daß er Ahab prophezeite, es werde während mehr als
drei Jahren nicht regnen, was auch nach seinem Worte geschah.
Ein merkwürdiges Beispiel ist auch der Syrier Hazael, der
zu Elisa kam, und Gott wegen seines kranken Herrn, des Königs
von Syrien, zu befragen. Der Prophet sah ihn ernst an und
brach in Tränen aus; als ihn Hazael fragte: „Warum weinest
du?“ so antwortete er und sprach: „Der Herr hat mir gezeigt,
daß du König über Syrien werden wirst.“
Er vor dann fort, ihm die Grausamkeiten zu enthüllen, die
er gegen Israel ausüben werde, welche zu schrecklich sind, um hier
erwähnt zu werden, damit das zarte Ohr nicht beleidigt werde.
Aber Hazael, erstaunt, diese Dinge in betreff seiner Person zu
hören, die ihn zu jener Zeit mit Schrecken erfüllten, rief vor
Überraschung aus: „Aber wie! ist dein Knecht ein Hund, daß er
etwas so Großes tun sollte?“ Doch muß man zum Erstaunen
sagen, daß später alles buchstäblich erfüllt wurde.
Im 21. Kapitel des 2. Buchs der Chronika steht geschrieben,
daß an Joram eine Schrift von Elia kam, die, nachdem sie die
große Gottlosigkeit erwähnt, deren er sich schuldig machte, indem
er sich zur Abgötterei wandte und auch seine Brüder von seines
Vaters Hause ermordete, die besser als er waren, so fortfährt:
„Siehe, so wird dich der Herr mit einer großen Plage schlagen,
an deinem Volke, an deinen Kindern, an deinen Weibern und an
aller deiner Habe; du aber wirst viel Krankheit haben in deinem
Eingeweide, bis daß dein Eingeweide vor Krankheit herausgehe
von Tage zu Tage.“ In demselben Kapitel steht geschrieben:
„Die Philister und Araber kamen gegen ihn und führten weg seine
Weiber, Kinder und alle Habe; und nach dem allem plagte ihn
der Herr in seinem Eingeweide mit solcher Krankheit, die nicht
zu heilen war, und sein Eingeweide ging von ihm wegen seiner
Krankheit, und er starb an einer bösen Krankheit.“
Der 26. Vers des 6. Kapitels des Buchs Josua enthält eine
wunderbare Weissagung in betreff Jerichos: „Verflucht sei der
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Mann vor dem Herrn, der sich aufmacht und diese Stadt Jericho
wieder bauet. Wenn er ihren Grund leget, das koste ihn seinen
ersten Sohn, und wenn er ihre Tore setzet, das koste ihn seinen
jüngsten Sohn.“
Nach diesem Fluche lag die Stadt Jericho lange Zeit wüste
da, weil es niemand wagte, dieselbe auf Kosten seines erstgeborenen
und jüngsten Sohnes wieder aufzubauen, bis endlich, nachdem
viele Richter und Könige aufeinander gefolgt und Jahrhunderte
vergangen waren,Hiel, der Betheliter, der zur Zeit Ahabs lebte,
wahrscheinlich in der Meinung, daß der Herr den von Josua
darüber ausgesprochenen Fluch vergessen hätte, die Stadt wieder
aufzubauen wagte; aber er hatte nicht sobald ihren Grund gelegt,
als Abiram, sein Erstgeborener, starb; da er aber noch verstockten
Herzens blieb und ihre Tore setzte, verlor er seinen jüngsten Sohn
Segub, nach dem Worte des Herrn, das er geredet hatte durch
Josua; siehe 1. Buch der Könige 16, 34. Wir könnten ein ganzes
Buch mit Beispielen ähnlicher Art, die durch den ganzen geschicht-
lichen Teil der Heiligen Schrift zerstreut sind, füllen; aber wir
unterlassen es, um zu einer genaueren Erforschung der Weis-
sagungen der jüdischen Propheten zu eilen. Wir werden dieselben
verfolgen, wie sie in bezug auf Jerusalem, Babylon, Tyrus, Ägyp-
ten und verschiedene andere Völker in Erfüllung gegangen sind.
Babylon, die älteste und berühmteste Stadt der Welt, hatte
eine herrliche Lage an den Ufern eines majestätischen Flusses, der
seinen Lauf durch die Ebenen von Schinar nahm, in deren Nähe
einst der Turm von Babel stand. Sie war viereckig, von einer
mehr als dreihundert Fuß hohen Mauer umgeben, und hatte
einen Umfang von mehr als sechzig englischen Meilen, mit hundert
Toren von Erz, an denen sich eiserne Stangen befanden, mit fünf-
undzwanzig Toren auf jeder Seite, welche zu Straßen führten,
die in einer Strecke von fünfzehn englischen Meilen durch die
Stadt liefen, und so bildete die ganze Stadt genaue Vierecke von
gleicher Größe. Mitten in diesen Vierecken lagen schöne Gärten,
die mit Bäumen, Spazierwegen und mit Blumen verschiedener
Farbe geziert waren, indes die Häuser auf den Rändern der
Vierecke unmittelbar gegen die Straßen gebaut waren. Mitten
in dieser Stadt saß Nebukadnezar auf dem Throne, umgeben von
königlichem Glanze und Pracht, und schwang sein Zepter über alle
Reiche der Welt. Da gefiel es Gott, in einem Gesichte während
der Nacht den dunklen Schleier der Zukunft zu lüften und ihm
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mit einem Blick in die Geschichte der Welt zu zeigen, bis auf das
Ende aller Dinge.
„Siehe, ein sehr großes und hohes Bild stand vor ihm, dessen
Haupt war von feinem Golde, seine Brust und Arme von Silber,
sein Bauch und seine Lenden waren von Erz, seine Schenkel waren
Eisen, seine Füße waren eines Teiles Eisen und eines Teiles Ton.
Solches sah er, bis das Ein Stein herabgerissen ward ohne Hände,
der schlug das Bild an seine Füße, die Eisen und Ton waren, und
zermalmte sie; da wurden miteinander zermalmt Eisen, Ton, Erz,
Silber und Gold und wurden wie Spreu auf den Sommertennen;
und der Wind verwehte sie, daß man sie nirgends mehr finden
konnte. Der Stein aber, der das Bild schlug, wurde ein großer
Berg, der die ganze Welt füllte.“
Als Daniel vor den König gebracht wurde, um den Traum
zu sagen und auszudeuten, rief er aus: „Gott vom Himmel, der
kann verborgene Dinge offenbaren; der hat dem König Nebukad-
nezar angezeigt, was in künftigen Zeiten geschehen soll.“ Dann,
nachdem er den Traum erzählt, fuhr er fort: „Du, König, bist
ein König aller Könige, dem Gott vom Himmel Königreich, Macht,
Stärke und Ehre gegeben hat; und alles, da Leute wohnen; dazu
die Tiere auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel in
deine Hände gegeben, und dir über alles Gewalt verliehen hat;
du bist das güldene Haupt. Nach dir wird ein ander Königreich
aufkommen, geringer denn deines. Darnach das dritte Königreich,
das ehern ist, welches über alle Lande herrschen wird. Das vierte
wird hart sein wie Eisen; denn gleich wie Eisen alles zermalmet
und zerschlägt, ja, wie Eisen alles zerbricht, also wird es auch
alles zermalmen und zerbrechen. Daß du aber gesehen hast die
Füße und Zehen eines Teils Ton und eines Teils Eisen; das
wird ein zerteilet Königreich sein, doch wird von des Eisen Art
drinnen bleiben; wie du denn gesehen hast Eisen mit Ton ver-
menget,und daß die Zehen an seinen Füßen eines Teils Eisen
und eines Teils Ton sind, wird's zum Teil ein stark und zum
Teil ein schwach Reich sein. Und daß du gesehen hast Eisen mit
Ton vermenget, werden sie sich wohl nach Menschen Geblüt unter-
einander mengen, aber sie werden doch nicht aneinander halten;
gleich wie sich Eisen mit Ton nicht mengen läßt. Aber zur Zeit
solcher Königreiche wird Gott vom Himmel ein Königreich auf-
richten, das nimmermehr zerstört werden wird; und sein König-
reich wird auf kein ander Volk kommen. Es wird alle diese
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Königreiche zermalmen und zerstören; aber es wird ewiglich
bleiben. Wie du denn gesehen hast einen Stein ohne Hände
vom Berge herabgerissen, der das Eisen, Erz, Ton, Silber und
Gold zermalmet. Also hat der große Gott dem Könige gezeigt,
wie es hergehen werde; und das ist gewiß der Traum, und die
Deutung ist recht.“
In dieser großen Übersicht des Gegenstandes wird uns zuerst
das Reich Nebukadnezars vorgeführt, zweitens die Meder und
Perser, die Babylon dem Belsazer entrissen und über die ganze
Erde herrschten; drittens, die Griechen unter Alexander, welcher
die Welt eroberte und dann in Babylon regierte; viertens, das
römische Reich, welches alles unterjochte; fünftens, seine Teilung
in das östliche und westliche Reich und seine endliche Auflösung
oder Zerstückelung in verschiedene Königreiche des neuen Europas,
die durch die Füße und Zehen, die eines Teils Eisen und eines
Teils Ton sind, dargestellt wurden. Und zuletzt wird uns ein
ganz neues Königreich vorgeführt, das Gott vom Himmel in den
letzten Tagen oder während der Regierung dieser Könige auf-
richten wird, was durch die Füße und Zehen dargestellt wurde.
Dieses letzte Königreich wird niemals seinen Herrn wechseln, wie
alle die andern Königreiche, die vor diesem waren. Es wird
auf kein anderes Volk kommen, es wird alle diese Königreiche
zermalmen und es wird ewiglich bleiben. Viele sind der Meinung,
daß dieses letzte Königreich, auf welches hingewiesen wird, das
Reich Gottes war, das in den Tagen Christi oder seiner Apostel
gegründet wurde.
Ein größerer Fehler könnte jedoch nicht gemacht werden; das
in den Tagen Christi oder seiner Apostel auf gerichtete Reich
Gottes zermalmte keines von den Reichen der Welt; sondern es
wurde selbst bekriegt und überwältigt, um die Worte Daniels zu
erfüllen, die im 7. Kapitel, 21. und 22. Vers enthalten sind:
„Und ich sah dasselbige Horn streiten wider die Heiligen, und es
behielt den Sieg wider sie, bis der Alte kam und Gericht hielt
für die Heiligen des Höchsten; und die Zeit kam, daß die Heiligen
das Reich einnahmen“; und auch im 27. Vers: „Aber das Reich,
Gewalt und Macht unter dem ganzen Himmel wird dem heiligen
Volke des Höchsten gegeben werden, des Reich ewig ist, und alle
Gewalt wird ihm dienen und gehorchen.“
Johannes sagt in der Offenbarung, 13. Kapitel, 7. Vers:
„Und ward ihm gegeben zu streiten mit den Heiligen und sie zu
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überwinden. Und ward ihm gegeben Macht über alle Geschlechter
und Sprachen und Heiden.“
Um diese Worte zu erfüllen, wurde den Gewalthabern der
Erde die Macht gegeben, die von Gott gesandten Männer zu
töten oder, wenn noch einige übrig blieben, von den Menschen
zu verbannen und sie zu zwingen, sich auf wüste Inseln oder in
die Gruben und Höhlen der Berge der Erde zu flüchten, obgleich
die Welt ihrer nicht würdig war; während zugleich an ihrer Stelle
viele falsche Propheten und Lehrer auftraten, von denen die
Menschen sehr viele aufnahmen, weil sie die heilsame Lehre nicht
leiden konnten. Auf diese Weise wurde das Reich Gottes
unter den Menschen aufgelöst und ging verloren,
und an seine Stelle traten die Lehren und Kirchen der Menschen.
Wir wollen aber diesen Gegenstand noch ausführlicher behandeln,
wenn wir von dem Reiche Gottes sprechen werden. Es mag
genügen zu sagen, daß das von Daniel erwähnte Reich in den
letzten Tagen durch Gott vom Himmel ohne die Hilfe menschlicher
Gesetze oder Vorschriften aufgerichtet werden wird. Und wenn es
einmal aufgerichtet ist, wird es nicht zu wachsen aufhören; alle
Macht der Erde und der Hölle werden sein Wachstum nicht
hindern, bis zuletzt der Alte zu Gericht sitzen und Jesus Christus
in den Wolken vom Himmel kommen wird, mit großer Macht
und Herrlichkeit, als der König der Könige und der Herr der
Herren, und alle diese Königreiche vernichten, und das Reich, die
Gewalt und Macht unter dem ganzen Himmel den Heiligen geben
wird. Dann wird nur ein Herr sein, und sein Name einer, und
er wird König über die ganze Erde sein.
Wir wollen jetzt zu Nebukadnezar zurückkehren, den der Herr,
durch den Mund Jeremias, seinen Diener nennt, um sein Gericht
zu halten über die Völker. Es scheint, daß der Herr diesen großen
Mann erhob, um ihn zum König der Könige und Herrn der
Herren zu machen, indem er ihn mit seinem eigenen Schwerte
rüstete und ihm Macht und Gewalt gab, zu dem ausdrücklichen
Zwecke, seine Gerichte auszuführen und alle Völker der Erde zu
geißeln und zu demütigen.
Jeremias, im 25. Kapitel, sagt: Der Herr beabsichtigte,
Nebukadnezar und sein Heer gegen Jerusalem und gegen alle
umliegenden Völker kommen zu lassen, um sie zu zerstören und in
Gefangenschaft zubringen siebenzig Jahre; nach siebenzig Jahren
aber wollte er den König von Babylon und all dies Volk heim-
–   16   –

suchen um ihre Missetaten. Wer kann nun die Geschichte von der
Erfüllung dieser großen Ereignisse, die so genau von Jeremias,
Jesaia und Hesekiel angegeben sind, verfolgen, ohne von Erstaunen
und Bewunderung ergriffen zu werden über die wunderbare Gabe
der Prophezeiung,
durch welche die Menschen in jenen Tagen
die Geschichte der Zukunft lesen konnten, wie man die Geschichte
der Vergangenheit liest. In der Tat, der Geschichtsforscher des
neunzehnten Jahrhunderts, der die Geschichte der Babylonier,
Meder, Perser, Griechen, Römer, Ägypter und Juden in seinen
Händen hat, wird sich mit den unter jenen Völkern vorgefallenen
Ereignissen kaum vertrauter machen können, als die Propheten,
welche dieselben siebenzig Jahre vor ihrer Erfüllung kannten.
Die Juden wurden von Nebukadnezar unterworfen; ihre
Stadt Jerusalem mit ihrem Tempel durch Feuer zerstört; ihre
Fürsten, Adeligen und ihr Volk mit ihren ganzen Heiligtümern
nach Babylonien geführt. Alle Einzelheiten dieser Zerstörung und
Gefangenschaft und die Zeit ihrer Dauer, nämlich siebenzig Jahre,
wurden genau von Jeremias vorhergesagt. Nach Unterwerfung
der Juden ließ der König von Babylon sein Heer gegen Tyrus
marschieren, eine Handelsstadt, die an einem Seehafen lag, und
nicht nur von der See, sondern auch von einer starken Mauer
umgeben war. Ein so stark befestigter Ort erforderte die größte
Geschicklichkeit und Ausdauer Nebukadnezars und seines ganzen
Heeres, welches lange Zeit unaufhörliche Anstrengungen machte,
zuletzt jedoch Tyrus einnahm und die Bewohner in Gefangenschaft
brachte, siebenzig Jahre lang. Nach dieser Zeit kehrten sie zurück
und bauten ihre Stadt wieder auf; denn Jeremias hatte vorher
die Eroberungen von Tyrus, seine siebenzigjährige Knechtschaft ge-
weissaget, und ebenso, daß es nach jener Zeit wieder aufgebaut
werden würde. Nachdem nun Tyrus wieder aufgebaut war, so
blühte die Stadt eine Zeitlang, wurde aber später gänzlich ver-
wüstet. Überreste von ihren Trümmern werden noch heutigentages
auf dem Grunde des Meeres gefunden; aus der Stelle, wo die
Stadt stand, ist ein unfruchtbarer Felsen geworden, auf dem nur
einige arme Fischer wohnen. Diese ganze Zerstörung und sogar
ihr gegenwärtiges Aussehen einer wüsten und ewigen Einöde
wurde von den Propheten genau vorhergesagt.
Nachdem der König von Babylon Tyrus glücklich genommen
und manches Haupt kahl und mancher Rücken durch die Strapazen
der Belagerung gebeugt war, versprach ihm der Herr durch den
–   17   –

Mund Hesekiels das ganze Gut Ägyptens als Gold für sein Heer,
und ihm für seine große Leistung, in welcher er Gott gegen Tyrus
gedient, zu belohnen. Alsdann, seht seinen Krieg an, in welchem
er Ägypten nahm und dessen Einwohner in Gefangenschaft brachte,
bis die siebenzig Jahre um waren. Und endlich folgt ihm, wie
er die Rache und den Zorn des Herrn ausgeführt gegen Uz, an
den Königen der Philister, samt Asrelon, Azaah, Eskron, Edom,
Moab, Ammon, Dedan, Tema und Buz; an den Königen in
Arabien, an den Königen in Simri, allen Königen in Edam,
allen Königen in Meden; an allen Königen in Mitternacht, beide
in der Nähe und Ferne, und endlich gegen alle Königreiche der
Welt, daß sie trunken werden und speien, niederfallen und nicht
aufstehen mögen vor dem Schwert, das er unter sie schicken will.
Als aber der Herr seinen ganzen Willen an diesen Völkern
erfüllt hatte, beschloß er andrerseits, diesen großen Monarchen und
seine Nachfolger zu strafen, und die Stadt und das Land, über
welches er regierte, zu einer ewigen Wüste zu machen. Und alles
dies wegen ihres Stolzes und Hochmutes. Der Herr sprach: „Soll
sich die Axt gegen den rühmen, der damit haut, oder soll sich
diese Säge gegen den rühmen, der sie ziehet?“
Um nun aber die Rückkehr der Juden und anderer Völker
aus ihrer siebenzigjährigen Gefangenschaft und Knechtschaft und
die Bestrafung Babylons zu vollziehen, wird von den Propheten
ein andrer, von dem des Nebukadnezars sehr verschiedener
Charakter angeführt; einer, der in der Schrift der Gesalbte des
Herrn heißt.
Man kann ihn für einen der außerordentlichsten Charaktere
halten, welche die Heidenwelt hervorgebracht; seine Milde, Aus-
dauer, sein Mut, Erfolg und vorzüglich sein strenger Gehorsam
gegen das Gebot jenes Gottes, welchen weder er noch seine Väter
gekannt hatten – alles das beweist, daß Jesaia ihn nicht mit
Unrecht den Gesalbten des Herrn nannte, der die Völker aus der
Knechtschaft erlösen und die größte Stadt und Herrschaft, die
jemals auf der Erde war, geißeln und unterjochen, die Juden
zurückbringen und ihrer Stadt und ihren Tempel wiederaufbauen
sollte. In der Tat, er gehört mit zu den wenigen, welche die
Welt nur für außerordentliche Zwecke hervorbringt.
Laßt uns jedoch des Propheten eigene Worte über ihn hören,
im Jesaia, 45. Kapitel: „So spricht der Herr zu seinem Ge-
salbten, dem Cyrus, den ich bei seiner rechten Hand ergreife, daß
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ich die Heiden vor ihm unterwerfe und den Königen das Schwert
abgürte, auf daß vor ihm die Türen geöffnet werden und die
Tore nicht verschlossen bleiben: Ich will vor ihr hergehen und
die Höcker eben machen; ich will ehernen Türen zerschlagen
und die eisernen Riegel zerbrechen. Und ich will dir geben die
heimlichen Schätze und die verborgenen Kleinode; auf das du
erkennest, daß ich, der Herr, der Gott Israels, dich bei deinem
Namen genannt habe, um Jakob, meines Knechtes, willen; und
um Israel, meines Auserwählten, willen. Ja, ich rief dich bei
deinem Namen und nannte dich, da du mich noch nicht kanntest.
Ich bin der Herr, und sonst keiner mehr; kein Gott ist, ohne
mich. Ich habe dich gerüstet, da du mich noch nicht kanntest, auf
daß man erfahre, beide, von der Sonne Aufgang und der Sonne
Niedergang, daß außer mir keiner sei. Ich bin der Herr und
keiner mehr.“ Im 13. Vers sagt er: „Ich habe ihn erwecket in
Gerechtigkeit, und alle seine Wege will ich eben machen. Er soll
meine Stadt bauen und meine Gefangenen loslassen; nicht um
Geld, noch um Geschenke, spricht der Herr Zebaoth.“ Der Leser
wird sich erinnern, daß Jesaia ungefähr hundert Jahre vor der
Gefangenschaft der Juden lebte und hundertundsiebenzig Jahre
vor ihrer Heimkehr durch Cyrus.
Hier möchte ich innehalten und fragen, welche Macht außer
der des großen Gottes konnte einem Manne die Kraft verleihen,
einen andern Mann ein Jahrhundert vor seiner Geburt mit seinem
Namen zu nennen und richtig die Geschichte seines Lebens vorher-
zusagen? Wie groß muß sein Erstaunen und seine Verwunderung
gewesen sein, als er nach vieljährigen Kriegen und Erschütterungen
als Sieger ausziehend und wie ein Nest die Schätze der Völker
sammelnd, zuletzt sein Lager unter den Mauern des stärksten Ortes
der ganzen Erde aufschlug? Er sah auf dessen Mauern, die eine
Höhe von mehr als 500 Fuß hatten, dessen Tore eisern waren;
das Volk glaubte sich drinnen in der Stadt vollkommen sicher,
da es auf mehrere Jahre reichlich mit Lebensmitteln versehen war.
Wie konnte er daran denken, jene Stadt einzunehmen, wen würde
nicht ein solches Unternehmen zurückgeschreckt haben, es sei denn,
der große Jehova hätte ihn begeistert?
Da er aber den Fluß Euphrat aus seinem Lauf brachte
und in den trockenen Bette des Flusses unter den Mauern der
Stadt marschierte, so gelangte er ohne große Schwierigkeit in den
Besitz der Stadt, denn der König Belsazar hatte sich mit seinen
–   19   –

Gewaltigen und Kebsweibern betrunken, und das da zu aus den
Gefäßen, die sein Vater aus dem Tempel, dem Hause Gottes zu
Jerusalem, genommen hatte, und seine Beine zitterten schon vor
Schrecken über die Handschrift an der Wand, zu deren Auslegung
Daniel eben gerufen worden war, die sein Reich den Medern und
Persern gab. Nachdem Cyrus dieses große Reich sich unterworfen,
setzte er sich auf den Thron der Königreiche; und da er mit Daniel
bekannt wurde, erlangte er ohne Zweifel Kenntnis von dem jüdi-
schen Urkunden, und dann wurde ihm das Geheimnis offenbart:
er konnte dann sehen, daß ihn Gott bei seinem Namen gerufen,
daß die Hand des Akllmächtigen ihn zur Schlacht gerüstet und sein
ganzes Werk gezeigt hatte; er konnte alsdann verstehen, warum
sich die Schätze der Erde in seinen Schoß ausgegossen hatten, und
den Königen das Schwert abgegürtet war, warum vor ihm die
Türen geöffnet und die eisernen Riegel zerbrochen waren. Es
geschah, auf daß er erfahre, daß es einen Gott in Israel gebe,
und keinen andern, und daß alle Götzen wie nichts wären; daß
er auch die Juden wiederbringen, ihre Stadt und ihren Tempel
wiederaufbauen und Gottes Pläne gegen Babylon ausführen sollte.
Demgemäß erließ er an die Juden eine Bekanntmachung, wieder
heimzukehren, und an die Völker, ihnen beim Wiederaufbau zu
helfen. „Denn“, spricht er, „Gott hat mir befohlen, ihm ein Haus
zu bauen zu Jerusalem.“ – Esra, Kapitel 1, 2–3 sagt: „So
spricht Cyrus, König in Persien: der Herr, der Gott des Himmels,
hat mir alle Königreiche der Erde gegeben; und er hat mir be-
fohlen, ihm ein Haus zu bauen zu Jerusalem in Juda; der nun
unter euch seines Volkes ist, mit dem sei sein Gott, und er ziehe
hinauf gen Jerusalem in Juda; und baue das Haus des Herrn,
des Gottes Israel; er ist der Gott, der zu Jerusalem ist.“
Welcher starke Beweis, welcher mächtige Einfluß brachte Cyrus
zu der Überzeugung, daß es der Gott vom Himmel war, der in
Jerusalem wohnte, der allein Gott war, der alle diese Dinge
getan hatte? Er war weder in dem Glauben des wahren Gottes
noch in der Heiligen Schrift unterrichtet worden. Er war sogar
immer sehr eifrig in der Anbetung der Götzen gewesen; bei den
Götzen suchte er in seinem früheren Leben Hilfe. Ich erwidere,
es war die Macht Gottes, welche sich durch eine Prophezeiung
und ihre Erfüllung kundgab; weder in einem geistigen Sinne
noch auf eine dunkle, ungewisse, geheimnisvolle Weise, die schwer
zu verstehen war; sondern durch einen bestimmten, buchstäblichen,
–   20   –

deutlichen Beweis, den niemand bestreiten oder widerlegen konnte.
Jesaia sagt, daß dies der Zweck war, den Gott vor Augen hatte,
sobald er eine solche Deutlichkeit offenbarte. Und Cyurs bewies,
daß es die gewünschte Wirkung hatte.
Ich will hier bemerken, daß, da wir später jenen Teil der
Prophezeiungen durchgehen wollen, der noch zu erfüllen ist, wir
bestimmte Beweise anführen werden, daß die heidnischen Völker
der letzten Tage auf dieselbe Weise wie Cyrus überzeugt werden
müssen; das heißt, gewisse, von den Propheten deutlich vorher-
gesagte Ereignisse, die jedoch noch eintreten sollen, wehrten nach
ihrer Erfüllung alle heidnischen Völker von dem wahren Gotte
überzeugen, und sie werden wissen, das Er gesprochen und es
getan hat. Und alle diese großen und gelehrten Männer der
Christenheit und alle Gesellschaften, welche dem Worte einer
Prophezeiung eine andere als buchstäbliche Bedeutung
geben, werden beschämt und genötigt sein, anzuerkennen, daß alles
geschah, wie es geschrieben steht.
Doch wir wollen zu unserer Untersuchung der Prophezeiungen
und ihrer Erfüllung zurückkehren. Die Propheten hatten nicht nur
die Unterjochung von Babylon durch Cyrus geweissagt, sondern
sie hatten auch sein Geschick durch alle Zeiten verkündigt, sogar,
daß nach seiner gänzlichen Verwüstung niemand mehr dort wohnen
würde, nicht einmal der wandernde Araber würde dort eine Zeit-
lang verweilen, „und der Araber wird keine Hütte daselbst machen“.
Siehe Jesaia 13, 19–22.
Der berühmte jüdische Missionar Herr Joseph Wolf fragte
auf seinen Reisen in Chaldäa die Araber, ob sie ihre Hütten unter
den Trümmern von Babylon aufrichteten, was sie verneinten,
weil sie fürchteten, daß, wenn sie dies täten, der Geist Nimrods
sie beunruhigen würde. So sind alle Prophezeiungen der Pro-
pheten in betreff jener mächtigen Stadt in Erfüllung gegangen.
An Edom finden wir die von den Propheten deutlich ausge-
sprochenen Prophezeiungen auch auf eine merkwürdige Weise er-
füllt. Diese Prophezeiungen wurden zu einer Zeit gegen Edom
gemacht, als sein Land sehr fruchtbar und gut angebaut war und
überall viele blühende Städte waren. Aber jetzt sind aus seinen
Städten wüste Trümmerhaufen geworden, auf denen sich nur See-
raben, Rohrdommeln und wilde Tiere, Schlangen usw. aufhalten,
und sein Boden ist jetzt unfruchtbar geworden; der Herr hat Ver-
wirrung und die Steine der Leere darauf gelegt, und es hat wüste
–   21   –

dagelegen von einem Geschlechte zum andern, um ausdrücklich die
Prophezeiung zu erfüllen.
Wir wollen jetzt eine kurze Beschreibung von dem Gesichte
Daniels geben, von dem das 8. Kapitel seiner Prophezeiungen
in betreff des Bockes und der Ziege handelt. Der Leser dürfte
wohl daran tun, das ganze Kapitel zu lesen; aber wir wollen hier
besonders die Ausdeutung beachten, wie sie ihm von Gabriel ge-
geben wurde und dem 19. bis 25. Verse angeführt wird. Und
er sprach: „Siehe, ich will dir zeigen, wie es gehen wird zur Zeit
des letzten Zornes; denn das Ende hat seine bestimmte Zeit. Der
Widder mit den zwei Hörnern, den du gesehen hast, sind die
Könige in Medien und Persien. Der Ziegenbock aber ist der
König von Griechenland. Das große Horn zwischen seinen Augen
ist der erste König. Daß aber vier an seiner Statt stunden, da
es zerbrochen war, bedeutet, daß vier Königreiche aus dem Volke
entstehen werden; aber nicht so mächtig, wie er war. In der letzten
Zeit ihres Königreiches, wenn die Übertreter überhandnehmen,
wird ein frecher und tückische König aufkommen. Der wird
mächtig sein, doch nicht durch seine Kraft. Er wird greulich ver-
wüsten, und wird ihm gelingen, daß er es ausrichte. Der wird
die Starken samt dem heiligen Volk zerstören. Und durch seine
Klugheit wird ihm der Betrug geraten. Und wird sich in seinem
Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viel verderben;
und wird sich auflehnen wider den Fürsten aller Fürsten, aber
er wird ohne Hand zerbrochen werden.“
In diesem Gesichte finden wir zuerst die Meder und Perser
dargestellt, wie sie sein sollten, bis sie durch Alexander den Großen
besiegt wurden. Es ist nun eine wohlbekannte Tatsache, daß dieses
Reich eine Zeitlang nach dem Tode Daniels ungemein mächtig
und groß wurde, indem sich seine Eroberungen bis nach dem
Westen, Norden und Süden erstreckten, so daß niemand vor ihnen
standhalten konnte, bis Alexander, König von Griechenland, mit
einen kleinen Heere auserwählter Männer heranrückte und die
Perser, welche auf den gegenüberliegenden Ufer des Flusses
Stellung genommen hatten, angriff. Er stürzte sich mit seinem
Pferde in die Fluten, setzte an der Spitze seines Heeres über
den Fluß und lieferte den Persern, ungeachtet ihrer großen Über-
macht und vorteilhaften Stellung, eine Schlacht, worin er seinen
Gegner gänzlich besiegte. Dann begannen die Griechen das Land
zu überschwemmen und zu unterjochen, indem sie die Perser in
–   22   –

einer Anzahl Schlachten schlugen, bis sie dieselben gänzlich unter-
worfen hatten.
Es ist auch gut bekannt, daß Alexander, König von Griechen-
land, von Volk zu Volk zog und die Welt sich unterwarf, bis
er, nach Eroberung der Welt, in einem Alter von 32 Jahren zu
Babylon starb. Und da es aufs stärkste geworden war, zerbrach
das große Horn und wuchsen an dessen Statt ansehnliche vier
gegen die vier Winde des Himmels. Sein Königreich wurde unter
vier seiner Generäle geteilt, welche niemals seine Macht erlangten.
Nun in der letzten Zeit ihres Reiches, als die Sünden des jüdi-
schen Volkes sich überhäuften, vernichtete die römische Macht das
jüdische Volk, nahm Jerusalem und ließ die täglichen Opfer ein-
stellen, und nicht nur dies geschah, sondern sie zerstörten auch die
Starken samt dem heiligen Volke, d. h. die Apostel und die ersten
Christen, welche von den Machthabern Roms getötet wurden.
Wir wollen jetzt fragen: gibt die Geschichte aller dieser
Staaten einen deutlicheren Beweis von vergangenen Ereignissen,
als Daniels Weisheit ihn von Ereignissen gab, welche der Zu-
kunft angehörten und von denen einige dem Laufe der Zeit auf
mehrere Jahrhunderte vorausgeeilt waren, indem er Ereignisse
offenbarte, die kein menschlicher Scharfsinn möglicherweise vor-
ausgesehen haben konnte? Der Mensch kann mit seinem Scharf-
sinne vieles ausführen, er kann das pfadlose Meer ohne günstigen
Wind oder Strömung befahren; er kann sich ohne Flügel bis zu
den Wolken erheben; der kann ohne Tiere Länder mit erstaunlicher
Schnelligkeit durchreisen oder kann seine Gedanken seinem Neben-
menschen durch Briefe mitteilen. Es gibt jedoch etwas, was er
nie erlangen kann; nein, nicht einmal mit der Weisheit ganzer
Zeitalter; es ist nicht für Geld zu haben; es kommt nur von Gott
und wird dem Menschen als eine freie Gabe gegeben. So sagt
der Prophet zu den Götzen: Saget uns das Zukünftige,
auf daß wir wissen mögen, daß ihr Götter seid
.
Wir wollen jetzt weiter zeigen, wie genau die Prophezeiungen
in bezug auf die Person Jesu Christi buchstäblich erfüllet wur-
den. „Siehe“, sagt der Prophet, „eine Jungfrau wird empfangen
und einen Sohn gebären.“ Wiederum, Bethlehem sollte der Ort
seiner Geburt sein; und Ägypten, wo er sich mit seinen Eltern
aufhielt, der Ort, aus welchem er berufen werden sollte. Er wandte
sich nach Nazareth, denn es stand geschrieben: „Er soll Nazarenus
heißen.“ – Er zog ein zu Jerusalem, auf einem Esel und auf
–   23   –

einem Füllen der lastbaren Eselin, weil der Prophet gesagt hatte:
„Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem
Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin.“ Und wiederum
sagte der Prophet: „Er wird gestraft und gemartert werden; er
wird sein voller Schmerzen und Krankheit; er wird wie ein Lamm
sein, das zur Schlachtbank geführet wird, und wie ein Schaf, das
verstummet vor seinem Scherer und seinen Mund nicht auftut;
in seiner Niedrigkeit war sein Gericht erhaben; wer will seines
Lebens Länge ausreden, denn sein Leben ist von der Erde ge-
nommen. Er wurde um unserer Missetat willen verwundet, und
durch seine Wunden sind wir geheilt; er wurde den Übeltätern
gleich gerechnet; er ist begraben wie ein Reicher. Ihm ist kein
Bein zerbrochen; sie teilen seine Kleidung; sie werfen das Los um
seine Kleider; sie geben ihm Galle und Bitterkeit zu trinken;
sie verraten ihn um dreißig Silberlinge; und als er geendet hatte,
ruhte er im Grabe bis zum dritten Tage, wo er dann trium-
phierend aufstand, ohne die Verwesung zu sehen.“
Nun, lieber Leser, hättest du unsern teuren Erlöser während
seines ganzen Verweilens im Fleische begleiten können und hättest
dir die Mühe gegeben, die einzelnen Umstände seines Lebens und
Todes aufzuzeichnen, wie sie von Zeit zu Zeit eintraten, so würde
deine Geschichte nicht deutlicher sein, als sie die Propheten von
ihm gaben mehrere hundert Jahre vor seiner Geburt. Wir wür-
den wohl daran tun, etwas in bezug auf die Weise zu beachten,
in welcher die Apostel eine Prophezeiung auslegten, und das ist
dies, – sie führten dieselben einfach an und berichteten ihre
buchstäbliche Erfüllung
. Diese Weise verfolgend, konn-
ten sie dem in den jüdischen Synagogen versammelten Volke mit
solchen überzeugenden Beweisen ins Herz dringen, daß dasselbe
genötigt war, den vermeintlichen Betrüger als den Messias an-
zuerkennen. Aber hätten sie nur einmal daran gedacht, eine geistige
oder ungewisse Auslegung zu machen, wie die Theologen der
Gegenwart, so würde alles Ungewißheit und Zweifel gewesen,
und ein Beweis würde von der Erde verschwunden sein.
Nachdem wir nun Prophezeiungen der Propheten des Alten
Testaments und ihre Erfüllung veranschaulicht und klar bewiesen
haben, daß immer eine buchstäbliche Erfüllung beabsichtigt
war, so kann der Gegner vielleicht fragen, ob dieselbe Auslegungs-
weise auch auf die im Neuen Testament enthaltenen Prophe-
zeiungen anzuwenden sei. Wir wollen daher einige wichtige Bei-
–   24   –

spiele von Prophezeiungen und ihrer Erfüllung aus den Neuen
Testamente anführen, worauf wir bereit sein werden, das große
Feld zu betreten, welches noch in der Zukunft liegt. Eine von
den merkwürdigsten Prophezeiungen der Heiligen Schrift ist in
Lukas 21, 20–24 enthalten. „Wenn ihr aber sehen werdet Jeru-
salem belagert mit einem Heere, so merket, daß herbeigekommen
ist ihre Verwüstung. Alsdann wer in Judäa ist, der fliehe auf
das Gebirge; und wer mitten drinnen ist, der weiche heraus; und
wer auf dem Lande ist, der komme nicht hinein. Denn das sind
die Tage der Rache; das erfüllet werde alles, was geschrieben ist.
Wehe aber den Schwangern und den Säugern in denselbigen
Tagen; denn es wird große Not auf Erden sein und ein Zorn
über dies Volk. Und sie werden fallen durch des Schwerts Schärfe
und gefangen geführt werden unter alle Völker; und Jerusalem
wird zertreten werden von den Heiden, bis daß der Heiden Zeit
erfüllt wird.“
Diese Prophezeiung enthält das Schicksal Jerusalems, des
Tempels und des ganzen jüdischen Volkes während wenigstens
achtzehnhundert Jahren. Um das Jahr Siebenzig wurde Jeru-
salem von dem römischen Heere belagert. Die Jünger, der War-
nung eingedenk, welche ihnen vierzig Jahre vorher von ihrem
Herrn und Meister gegeben worden war, entflohen in die Wüste.
Die Stadt Jerusalem wurde genommen nach einer langen und be-
schwerlichen Belagerung, in welcher die Juden das Äußerste durch
Hungersnot, Test und durchs Schwert zu leiden hatten und aus
Mangel an Begräbnisplätzen sogar die Häuser mit Toten anfüllten,
während Weiber aus Nahrungsmangel ihre eigenen Kinder ver-
zehrten. In diesem Kampf kamen in Judäa beinahe eine und
eine halbe Million Juden um, ohne die, welche in Gefangenschaft
gerieten. Ihr Land wurde verwüstet, ihre Stadt niedergebrannt,
ihr Tempel zerstört und der elende Überrest des Volkes unter
alle Völker der Erde zerstreut, in welcher Lage sie seither immer
geblieben und von einem Volke zum andern getrieben, oft fälsch-
lich der ärgsten Verbrechen angeklagt, wegen welcher sie verbannt
und ihrer Güter beraubt wurden. Sie wurden in der Tat meistens
für Geächtete unter allen Völkern gehalten; die Sohle ihrer Füße
hat keine Ruhe gefunden, und sie sind verlacht und verspottet
worden, und das Volk hat gesagt: „Dies ist das Volk des Herrn,
und sie sind aus diesem Lande hinausgegangen.“
Während dieser ganzen Zeit haben die Heiden das Land
–   25   –

Kanaan besessen und die heilige Stadt, wo die Vorfahren der
Kinder Israels Gott verehrten, unter ihre Füße getreten. Trotz-
dem, in dieser langen Gefangenschaft haben die Juden die Ver-
heißungen betreffs ihrer Heimkehr niemals aus den Augen ver-
loren. Mit schmachtenden Herzen erwarten sie die Zeit, in welcher
sie wieder jene gesegnete Erbschaft besitzen können, die ihren Vor-
fahren hinterlassen war; wo sie wieder ihre Stadt und ihren
Tempel aufbauen, ihr Priestertum wiederherstellen und wie ehe-
dem Gott verehren könnten. Sie haben in der Tat mehrerer Ver-
suche gemacht, heimzukehren, aber alle ihre Versuche wurden ver-
eitelt; denn es war ein unabänderlicher Beschluß, daß Jerusalem
von den Heiden sollte unter die Füße getreten werden, bis der
Heiden Zeit erfüllt sei. Über die Geschichte dieser langen Zer-
streuung haben Moses und die Propheten sehr deutlich geschrieben.
In der Tat hat Moses die Einzelheiten erwähnt, wie sie während
der strengen Belagerung ihrer Feinde in Verzweiflung und Not
ihre Kinder heimlich verzehren würden. Wer das 28. Kapitel des
5. Buches Moses liest, wird die Geschichte über das Schicksal der
Juden lesen, von Moses mit einer Klarheit prophezeit, welche die
Geschichte der Vergangenheit charakterisiert.
Unsere nächste Stelle steht in der Apostelgeschichte 21, 10–11,
wo ein Prophet mit Namen Agabus den Gürtel Pauli nahm,
seine eigenen Hände und Füße band und sprach: „Das saget der
Heilige Geist: Den Mann, des der Gürtel ist, werden die Juden
also binden zu Jerusalem und überantworten in der Heiden
Hände.“ Die Erfüllung dieser Weissagung ist zu bekannt, als daß
eine Beschreibung derselben nötig wäre. Wir wollen daher weiter
gehen und eine Prophezeiung Pauli beachten, die im 2. Tim. 4,
3–4 enthalten ist.
„Denn es wird eine Zeit sein, da sie die heilsame Lehre
nicht leiden werden; sondern nach ihren eignen Lüsten werden sie
ihnen selbst Lehrer aufladen, nach den ihnen die Ohren jucken, und
werden die Ohren von der Wahrheit wenden und sich zu den
Fabeln kehren.“ Diese Prophezeiung ist bis auf den Buchstaben
in Erfüllung gegangen; denn sie bezieht sich auf alle Religions-
lehrer, die seit jener Zeit bis heute aufgestanden sind, außer die-
jenigen, welche durch unmittelbare Offenbarung be-
auftragt waren und eine Eingebung des Heili-
gen Geistes empfangen hatten
. Und nun aber den Leser
von ihrer vollständigen Erfüllung zu überzeugen, brauchen wir nur
–   26   –

auf die unzähligen Priester der heutigen Zeit hinzuweisen, welche
um Lohn die Gebote der Menschen predigen und welche ihre Voll-
macht von ihren Mitmenschen erhalten; und was die Fabeln an-
betrifft, zu denen sie sich gekehrt haben, dürfen wir nur die geistigen
und besonderen Auslegungen erwähnen, welche fast aus jedem
religiösen Werk und von der Kanzel zu unserem Ohre gelangen.
Es gibt jedoch noch ein andere Prophezeiung Pauli, die
wohl unserer Beachtung verdient und die Zeiten erläutert, in wel-
chen wir leben; sie ist in den fünf ersten Versen des 3. Kapitels
2. Tim. zu finden: „Das sollst du aber wissen, daß in den letzten
Tagen werden greuliche Zeiten kommen. Denn es werden Men-
schen sein, die von sich selbst halten, geizig, ruhmredig, hoffärtig,
Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, ungeistlich, lieblos,
unversöhnlich, Schänder, unkeusch, wilde, ungütig, Verräter, Frev-
ler, aufgeblasen, die mehr lieben Wollust denn Gott; die da haben
den Schein eines gottseligen Wesens, aber seine Kraft verleugnen
sie. Und solche meide.“
Aus dem letzten Verse dieser Stelle erfahren wir zu unserem
Erstaunen, daß sich diese Masse gesetzlicher Gott-
losigkeit nur auf solche bezieht, die Religion zu
haben behaupten, das heißt, dies ist der Charakter
des sogenannten christlichen Teils der Gemeinde
in den letzten Tagen
. Verwundere dich darüber nicht, lieber
Leser, denn wir machen die Behauptung nicht, ohne den positiven
Beweis dafür zu haben; erinnere dich, Nichtbekenner haben
keinen Schein eines gottseligen Wesens, sondern
jene heuchlerischen Charaktere sollen einen Schein eines
gottseligen Wesens haben, aber seine Kraft ver-
leugnen
. Wenn du aber das Zeugnis Pauli über diesen Gegen-
stand bezweifelst, so blicke um dich und untersuche selbst. „An
ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Es betrübt mein Herz,
während ich schreibe. Ach, ist es so weit gekommen; hat der Geist
der Wahrheit den Schleier der Finsternis von den letzten Tagen
entfernt, nur um uns das Bild eines gefallenen Volkes zu zeigen;
eine abgefallende Kirche, die voll von Schändlichkeiten jeglicher Art
ist und sogar die Guten verachtet; indes ihr selbst nichts geblieben
ist als der Schein der Gottseligkeit, und sie die Kraft Gottes ver-
leugnet; das heißt, sie verwirft eine unmittelbare göttliche Ein-
gebung und die übernatürlichen Gaben des Geistes, welche immer
die Kirche Christi bezeichnen. War es nur für dies, daß der
–   27   –

Heilige Geist Ereignisse ungeborener Zeiten den Blicken heiliger
Männer offenbarte, durch welche sie die kommenden Herrlichkeiten
der letzten Tage schauen konnten? O! ihr Propheten und Apostel,
ihr alten heiligen Männer, was habt ihr getan, wenn ihr hier
stehen bleibt; wenn sich euer prophetisches Gesicht den Strom der
Zeit hinab nur bis auf die gegenwärtige Zeit erstreckte? Ach! ihr
habt unser Herz mit Sorge und Verzweiflung erfüllt; die Juden
habt ihr in Sorge und Finsternis wandeln lassen, weit von dem,
was ihren Herzen am teuersten ist; ihr Land ist eine Wüste, ihre
Stadt und Tempel in Trümmern, und sie haben keine Kenntnis vom
wahren Messias. Nachdem die Heiden Anteil an der Wurzel und der
Fruchtbarkeit des zahmen Ölbaumes gehabt haben, sind sie nach dem-
selben Beispiele des Unglaubens abgefallen und ohne Frucht abge-
storben, mit der Wurzel ausgerissen, indes ihnen nur der Schein der
Gottlosigkeit geblieben ist, während die Kraft, welche das Charakte-
ristische der alten Kirche war, von den Menschen gewichen ist. Ist
dies das Ziel aller eurer Arbeiten? Habt ihr darum geforscht, ge-
arbeitet, geblutet und den Tod erlitten? Ich warte auf eine Ant-
wort, wenn ihr ein Wort des Trostes bereit habt, in betreff der
Zukunft, so sprecht es schnell aus, damit unsere Seelen nicht
länger in dem finsteren Tale der Sorge und Verzweiflung bleiben.

___________

Kapitel 2.
Noch unerfüllte Prophezeiungen.
Was ist eine Prophezeiung anders als eine
Geschichte der Zukunft?
Nach dem wir nun offenbar und genügend bewiesen haben, das
die durchgenommenen Prophezeiungen wörtlich bis auf den Buch-
staben in Erfüllung gegangen sind, so hoffen wir, daß der Leser
dieselbe Regel auch in bezug auf ihn noch unerfüllten niemals aus
dem Auge lassen wird. Während wir an der Schwelle der Zukunft
stehen und im Begriffe sind, die Wunder noch zukünftiger Zeiten
zu schauen, die unsern erstaunten Blicken die größten und er-
habensten Handlungen, die erstaunlichsten Umwälzungen, die außer-
ordentlichsten Zerstörungen zeigen werden, sowie auch die wunder-
barste Offenbarung der Macht und Majestät Jehovas in der

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