Orson Hyde – Ein Ruf aus der Wüste (1842)


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Zweiter Artikel.
Ueber den Gebrauch und die Gütigkeit der Schriften des alten
und neuen Testamentes in unserer Kirche.

      Dieser geheiligte Schatz ist von den Gliedern un-
serer Kirche anerkannt, und wir fühlen uns verpflichtet,
die darin enthaltenen gerechten und heiligen Vorschriften
durch Beispiele in unserm täglichen Wandel zu erläu-
tern. Indeß wünschen wir nicht, daß dabei verstanden
werden möchte, als ob der heilige Geist auf jeden die-
ser Sätze besonders hingewiesen hätte, oder als ob alle
die Ceremonien, welche unter den alten Juden ausgeübt
wurden, auch auf uns aufgebürdet worden wären. Jedoch
ist kein Theil in der heiligen Schrift zu finden, der
nicht irgend ein Beispiel dem demüthigen Nachfolger
Christi gäbe, aus welchem er nutzvolle Belehrungen ziehen
könnte.
      Niemand hat das Recht, diesen Schriften etwas
hinzu zu fügen, und noch weniger, etwas davon hin-
weg zu nehmen; auch könnte er es nicht thun, ohne
das gerechte Mißfallen des göttlichen Hauptes der Kirche
auf sich zu ziehen. Siehe Offenb. 22. Kap. 18. und
19. V. Sollte es aber dem Herrn selbst gefallen, eine
neue Offenbarung nachträglich den Menschen zu geben,
sei es nun, durch seine eigene Stimme vom Himmel,
durch den Dienst eines Engels, durch den heiligen Geist,
oder durch eine himmlische Vision, so würde dieß nicht
die Hinzufügung, oder überhaupt das Werk der Menschen
sein, sondern nur das Werk dessen, Der durch den
Mund Seines Sohnes erklärt hat, daß alle verborgenen
Dinge aufgedeckt, und alle Geheimnisse an den Tag
gebracht werden sollen. Deßhalb haben jene, die da
besitzen, fernere Ursache, noch mehr zu erwarten, denn
der Apostel Jakobus hat gesagt: »Wenn jemand von
»euch der Weisheit bedarf, laßt sie ihn von Gott er-
»bitten, welcher allen Menschen freigebig gibt, und es
»nicht vorrückt, und sie wird ihm gegeben werden.«
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Und Jesus hat weiter gesagt: »Alle Dinge, was
»auch immer ihr verlangt mit festem Glauben, das
»werdet ihr erhalten.« Deßhalb: »sind demjenigen der
»glaubt, alle Dinge möglich« sagt das ewige Wort des
Lebens. Und es ist mein beständiges Gebet und mein
unwandelbarer Glaube, daß der Himmel fortfahren
möge, Sein Wort uns zu offenbaren, bis die Kennt-
niß und Gloria Gottes die ganze Erde erfüllen wird,
und die Völker keinen Krieg mehr kennen werden. Doch
der, dessen Aberglaube und Tradition ihn verleiten wird,
jede neue Kundgabe der Wahrheit vom Himmel oder
von der Erde zu verwerfen (siehe Psalm 85, 11) »soll
gleich der Hitze der Wüste sein, und soll nimmer sehen,
wenn das Gute kommt.«
      Derjenige, welcher weise den Erwerb irdischer Reich-
thümer verfolgt, verwendet sein ganzes gegenwärtiges
Vermögen zu irgend einem sichern und einträglichen
Geschäfte, und sucht dann durch Gewerbfleiß und per-
sönliche Bemühung dasselbe zu vermehren. So soll der
Nachfolger Christi thun. Er soll den bestmöglichsten
Gebrauch von dem bereits gegebenen Worte des Herrn
machen, und auf dem Pfade der Selbstverläugnung,
des Gebetes und des strengen Gehorsames noch mehr
zu erringen suchen, denn Christus hat gesagt: »der,
welcher sucht, wird finden.« Die Kinder des Lichtes
sollen eben so weise sein in ihrer Zeit, wie die Kinder
der Welt; aber der Herr hat gesagt, daß sie es nicht
sind, und dieß ist zu beklagen. Es bleibt zu fürchten, daß
viele ihr Talent in ein Buch binden und vergraben werden.

Dritter Artikel.
Ueber den Glauben.

      Jener Glaube, welcher Heil uns bringt, ist die
Gewißheit, mit der wir unsichtbare Dinge zu erlangen
hoffen, und deßhalb ist er auch die Haupttriebfeder
aller menschlichen Handlungen. Mit dieser Gewißheit
pflügt und bebauet der Ackersmann sein Feld, der
Seemann durchzieht das weite Meer und der Manufak-
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turist, Mechaniker und Handwerksmann verfolgt gleich-
gesinnt seinen Beruf, jeder hoffend, etwas zu erlangen,
das er im Augenblicke zwar nicht sieht, dessen er aber
gewiß ist, nämlich Reichthümer.
      Sollte der Ackersmann glauben, daß sein Feld
ihm eine reiche Ernte gebe, ohne es zu pflügen oder zu
bebauen, – würde da sein Glaube allein hinreichen,
ihm die Ernte zu gewähren? Nein!
      Sollte der Seemann glauben, daß er durch seinen
Handel zur See die Reichthümer Indiens aufhäufen
könne, ohne aber dabei jemals an den Bord eines
Schiffes zu gehen, um seine Segel in den Wind hinaus
zu spannen – würde da sein Glaube allein ihm die
gewünschten Reichthümer bringen.? Nein! Oder, sollte
der Handelsmann glauben, daß er sein Besitzthum durch
Kauf und Verkauf vermehren könne, ohne jedoch zu
kaufen und zu verkaufen – würde hier sein Glaube
allein hinreichen, die gewünschte Vermehrung zu verur-
sachen? Nein! So ist es denn mit allen Klassen der
Menschen in dem geschäftlichen Verkehre dieser Welt,
und derselbe Grundsatz gilt auch in Beziehung der wah-
ren Reichthümer, die uns im Himmel hinterlegt sind.
Wenn jemand dieselben an sich bringen will, so muß
er eben so wohl arbeiten als glauben; denn Glaube
und Arbeit sind die zwei Flügel, mit welchen der Christ
von der Erde zum Himmel fliegt. Nimm einen der-
selben davon hinweg, und der andere ist von keinem
Nutzen mehr für ihn, denn mit einem Flügel kann er
nicht fliegen.
      Der Glaube wird erlangt durch Anhörung des Wor-
tes Gottes, erklärt von einem Prediger, der nicht
in jenem Worten spricht, wie die menschliche Weisheit
sie lehret, sondern mit jenen Worten, wie der heilige
Geist sie redet, wenn er geistige Dinge mit Geistigem
vergleichet. Der ganze Umfang der Natur mit all den
blühenden Reizen öffnet eine Fluth des Lichtes dem be-
trachtenden Gemüthe in Bezug auf die ewige Macht
und Hoheit Gottes, des unsichtbaren Schöpfers. Der
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schattige Hain, der kräftig fließende Strom, die luftigen
Berge und die sich weithin dehnende Fläche verkünden
das Werk einer allmächtigen Hand. Der Himmel mit
ihren zahllosen Welten die gleich blinkenden Diaman-
ten den nächtlich blauen Dom ausschmücken, beweisen
jeden Auge das Dasein einer mehr als menschlichen
Gewalt.
      Wer kann die Natur in ihrer ewigen Entfaltung
betrachten ohne zu fragen, welche geheime Feder wohl
da unter dem Vorhang verhüllt liegen mag, durch
welche sich die zahllosen Körper im Weltraume mit
solcher Regelmäßigkeit und Ordnung bewegen? Und all
dies Wechseln und Entfalten ist einzig nur zur Bequem-
lichkeit des Menschen da.
      Man nenne nun diese Macht, durch welche die
Natur sich bewegt, durch was immer für einen Namen
als man wolle, so bleibt sie doch immer berechtigt durch
jeden Grundsatz der Wahrheit und Gerechtigkeit, An-
sprüche an unsere aufrichtigste und demüthigste Anbetung
zu machen. Denn erstens: daß sie groß ist, wird Nie-
mand läugnen; und zweitens: daß sie gut ist, kann
Niemand läugnen. Deßhalb verlangt das, was unend-
lich groß und unendlich gut ist, einen Tribut von
abhängigen Wesen, und da Gott nur ein zerknirschtes
Herz und einen reuevollen Geist forderte, nebst der folg-
samen Beobachtung Seiner guten und heilbringenden
Gesetze, wer könnte da wohl so undankbar sein, und die-
ses Opfer dem Herrn vorenthalten?
      Der Herr Jesus ist uns als Erlöser und als Ge-
genstand unsers Glaubens gegeben worden, und kein
menschliches Wesen kann zum Vater kommen, denn durch
Ihn. Ihm ist ein Name gegeben worden unter dem
Himmel und unter den Menschen, durch welchen wir
alle gerettet werden können. Er und Er allein ist un-
ser Mittler. Er hat unsern Kummer getragen, und
unser Elend auf Sich genommen, und er ladet uns
freundlich zu Sich, um durch Ihn gerettet zu werden.
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      In dich, o Mensch! sucht der Schöpfer zu dringen
mit seinem heiligen Worte, durch den Mund seiner
Diener, in dich sucht er zu dringen, wenn Er dir Sein
göttliches Bild in den Werken der Natur gleichsam wie
durch einen Spiegel zeigt, und mit Seinem hl. Geiste
will Er dich beleben, der gleich dem Winde, leichter zu
fühlen, denn zu sehen ist.
      Solltest Du aber dein Herz nicht zu ihm wenden,
ohngeachtet der Ueberredungskraft dieser sprechenden
Sachwalter, so wisse, daß du verloren bist, denn der
Herr selbst hat gesagt: »der welcher nicht glaubt, soll
verdammt werden.«
      Vielleicht werden einige Personen sagen: »ich glaube
mit ganzem Herzen, daß Jesus Christus der Sohn Got-
tes ist, so wie auch an Seine heilige Religion, aber
willst du uns auch sagen, was wir zu thun haben, um
diese Religion zu genießen, und in das Reich Gottes
einzugehen?
      Ich bin höchst erfreut, solch ein volles offenes Be-
kenntniß des ersten Grundsatzes der christlichen Religion
zu vernehmen, denn gerade solch ein Bekenntniß fordert
das Evangelium und ich schreite mit Vergnügen vor-
wärts einen zweiten Grundsatz anzudeuten.

Vierter Artikel.
Ueber die Reue.

      Die Reue ist jenes Gefühl des Kummers und der
Betrübniß des Herzens über begangene Beleidigungen
Gottes, welches eine Person mit festem Vorsatze erfüllt,
ihre Sünden und begangenen Ungerechtigkeiten zu mei-
den, und ihren ganzen Lebenswandel umzuändern. Die
Reue ist eine Lehre, welche nur Demuth abzielt, die
Verfeinerung in ihren Folgen bringt, und nur dahin
strebt, ihre Getreuen von Stolz und Hoffart abzustrei-
fen und sie hinzubringen zum Fuße des Kreuzes wo
der Strom der Gnade fließt, damit sie rein gewaschen
werden mögen von ihrer Schuld und von ihren Befleck-
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ungen. Die Reue ist in der That gleich der Arznei
des Physikers, die zwar widrig für den Geschmack, aber
der Gesundheit des Körpers zuträglich ist.
      Der weltlich gesinnte Mensch liebt freilich nicht
in seinen Bestrebungen nach Wohlstand und Größe nach-
zulassen, noch will der Mann des Vergnügens sich von
jenen bezaubernden Reizen trennen, die beinahe an je-
dem Orte und in verschiedenen Formen und Gestalten
seine Schritte abzulenken suchen von dem Pfade der
Tugend und Frömmigkeit. Auch wird es dem Reichen
schwer, seine Güter freigebig den Armen zu spenden,
und der Stolze und Hoffärtige hat keine Lust in dem
Thale der Demuth zu wandeln.
      Die Namen solcher Personen mögen wir in der
That oft innerhalb einer Kirche auf Stein eingegraben
finden; aber wenn die Worte Jesu als zuverlässige
Wahrheit gelten, so wisset, daß deren Namen nicht auf
der Liste der Geheiligten vorgezeichnet sind, um einst
im ehrenvollen Andenken zu glänzen an jenem Tage,
wo die, die durch die grosse Trübsal gegangen sind, und
ihre Kleider rein und weiß gewaschen haben im Blute
des Lammes, gekrönt werden mit unsterblichen Ehren
zur Rechten ihres Herrn und Königs.
      Während dem Laufe meines Lebens bin ich durch
verschiedene Gegenden gewandelt, und habe die Men-
schen in verschiedenen Graden angetroffen. Ich sah den
Reichen in seinem Glanze rollen, strahlend von Gold
und Diamanten, gleich als ob er die breiten Falten
des gestirnten Himmels um sich verschlungen hätte. Ich
habe auch den Armen gesehen! Mancher war so elend,
daß das Leben ihm nur eine Bürde schien, die ihm
gegeben ward, sein Elend zu verewigen, damit der Kelch
seiner Drangsale schon hier, auf dieser Erde gefüllt
würde.
      Doch worauf mein Augenmerk sich mit größtem
Interesse wendete, war, zu sehen, wie der starke Arm
der politischen Macht einen goldenen Thronhimmel über
die Kirche ausspannte. Es ziemt mir nicht, jedes Ding

      Glauben soll hier in seinem Kern unkommentiert bleiben. Allein die von Hyde gemachten Folgerungen sind nicht sonderlich schlüssig und der Größe der von ihm selbst beschriebenen Dinge keineswegs angemessen. Hier wird sein geringer Blickwinkel und eine schlechte Ausbildung des 19.Jahrhunderts offenkundig.


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