Orson Hyde – Ein Ruf aus der Wüste (1842)


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Aeltesten die Hände auflegen und sie segnen im Namen
des Herrn, und sie weihen dem Dienste des Allerhöch-
sten. (Aber kein Besprengen mit Wasser findet statt.)
      Da die Kreatur nur für jene wirklichen Uebertre-
tungen verantwortlich geachtet wird, die sie selbst began-
gen, und da Sünde nur da beigemessen wird, wo ein
Gesetz gegeben wurde – so hat ein kleines gedankenloses
Kind, das für kein Gesetz empfänglich ist, durch das
Verdienst des Todes unsers Erlösers vollen Anspruch
auf Unsterblichkeit, und auf ewiges Leben, (»denn für
solche, sagt Christus, ist das Himmelreich.) Und dieses
Recht kann nur durch die Uebertretung eines gekannten
Gesetzes verwirkt werden, wenn sie die Jahre der Ver-
nunft erreicht haben, und eine solche Uebertretung des
genannten Gesetzes macht Reue und Taufe nothwendig
zur Nachlassung der Sünden.

Zehnter Artikel.
Ueber die Offenbarungen und Befehle, welche Gott seiner Kirche
gab, seit sie organisirt wurde. (1830.)

      Die Ideen, daß der Herr in jetzigen Zeiten seinem
Volke eine Offenbarung oder Befehl gegeben hat, ist
von dem Glauben des größten Theils der religiösen Welt
so weit entfernt, als Loth von Sodoma an ihrem bösen
Tag war. Doch wir haben längst erfahren, daß die
Ungläubigkeit einer umnachteten Welt uns zu keinem
Führer dienen kann, und da wir mit ihr nicht die gleiche
Meinung haben, so werden wir von ihr als Betrüger,
Heuchler und Gotteslästerer betrachtet. Und unter die-
sen Vorurtheile hatten wir nicht nur allein die Falsch-
heit und den Mißbrauch ihrer Zungen; sondern auch
ihre Marterwerkzeuge und Grausamkeiten, ja selbst den
Tod zu erdulden. Das Blut unserer Martyrer dampft von
dem Opfer-Altare zum Himmel empor und verfechtet
dort vor dem Richterstuhl der Gnade mit so Mächtiger
Beredsamkeit unsere Sache, daß Jehova's Mitgefühl er-
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weckt wird, und Er Licht und Erkenntniß auf uns he-
rab sendet, gleich erquickenden Schauern, ja gleich bal-
samischem Thaue.
      Seit der Organisation unserer Kirche hat es dem
Herrn gefallen, uns verschiedene Offenbarungen und Be-
fehle durch sein heiliges Priesterthum zu geben, wodurch
uns viele Stellen in den Schriften angezeigt und klar
wurden, die früher dunkel und geheimnißvoll für uns
waren. Kurz es scheint, daß der Finger göttlicher Ein-
gebungen jede dunkle Stelle in der Bibel berührt habe,
damit die Wahrheit derselben in unsere Herzen leuchte
gleich dem erhellenden Glanze einer Lampe an dunklem
Orte.
      Ich kann nicht unterlassen, hier eine Bemerkung
über die Verschiedenheit des Volkes Gottes in früheren
Tagen, und über die Verschiedenheit derjenigen zu ma-
chen, die sich in heutigen Tagen sein Volk nennen. In
den alten Tagen betrachteten diese ihren Zustand höchst
beklagenswerth, wenn der Herr nicht zu ihnen redete, in
den heutigen Tagen aber gilt es ihnen als höchste An-
massung oder Narrheit, selbst auch nur die Möglichkeit
anzunehmen, daß der Herr wieder einmal zu ihnen spre-
chen wolle. Die Alten blickten auf Träume, Prophe-
zeihungen und Visionen, gleichwie eine Dame auf ihre
Diamanten blickt; doch unsere Modernen betrachten solche
Begünstigungen, gleich wie ein Schwein auf eine Perle
sieht. Hätte ich nicht zu oft erfahren, wie häufig man
geneigt ist, solche Dinge mit Füßen zu treten, so würde
ich es nicht gewagt haben, so zu sprechen, als ich that.
Und wäre es dem lichten Seraphen gegeben, die dem
Throne des Höchsten sich nähern, und sich in dem Strahle
der Unsterblichkeit sonnen, über den Mangel des Glau-
bens, und über die Unvernunft der Sterblichen zu wei-
nen, so müßte die Erde mit himmlischen Thränen be-
thauet werden.
      Wir glauben an Prophezeihungen, wir glauben an
Offenbarungen; denn nicht allein den Alten waren sie
gegeben, sondern auch uns. Wir glauben an Visionen,
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und wir glauben auch, daß Gott sein Volk durch
Träume warnt und ermahnt. Wir glauben auch an
wirksame Gebete für unsere Kranken, und salben sie
mit dem geweihten Oele im Namen des Herrn. Wir
legen ihnen unsre Hände auf, und der Herr erhört
unser Gebet. Er heilt unsere Kranken, und macht die
Lahmen hüpfen in Freude. —

Eilfter Artikel.
Ueber den Unterhalt und die Lebensweise unserer Priester.

      In unsrer Kirche gibt es keinen Priester, der eine
Besoldung für sein Predigen bekäme, sondern sie sind
alle von der Großmuth des Volkes abhängig, unter
denen sie arbeiten. Wir tragen unsere Kleidung nicht
in einer gewissen Weise, und in der Absicht, dadurch
vor andern Mitbürgern ausgezeichnet zu sein, sondern
wir versehen uns nur mit solcher, die gut und anstän-
dig ist, und sich am wenigsten vor dem Volke aus-
zeichnet.
      Wir glauben ferner, daß es gesetzmäßig und recht
ist, wenn ein Priester sich entschließt, ein Weib zu
nehmen; jedoch kann er kein zweites sich wählen, so
lange das erste am Leben ist
. Ist dieses aber todt, so
hat er völlige Freiheit, wieder zu heirathen. Wir be-
trachten dieß als ehrbar und lobenswerth vor Gott und
den Menschen, denn es scheint uns, daß der Mann
einst verantwortlich sein dürfte für diesen grossen und
besondern Zweck seiner Erschaffung.
      Der Gebrauch des Tabacks ist in unsrer Kirche
nicht erlaubt, besonders nicht den Priestern. Obgleich
diese Gewohnheit beinahe überall herrschend ist, so kön-
nen wir sie nur als eine sehr unflätige betrachten, die
da eine Pflanze zu einem Gebrauche verwendet, für
welchen sie wahrlich nicht erschaffen wurde.
      Man wird sich erinnern, daß in einem vorherge-
henden Artikel über die mancherlei Offenbarungen und
Befehle gesprochen wurde, die der Herr uns seit der


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