Wie bereits angemerkt steht in diesem Kapitel die Erscheinung eines Engels im Vordergrund, wie aus der Überschrift und dem ersten Satz hervorgeht. Legen wir die Tatsache zugrunde, daß 1832 erstmals von einer ersten Vision die Rede war und dabei nur eine Person gesehen wurde, ist dies nicht verwunderlich. Allerdings entwickelte sich diese Geschichte von da an derart, daß letztlich Gott Vater und sein Sohn erschienen, wie es heute in der Kirche gelehrt wird. Die erste Veröffentlichung dieser Geschichte erschien etwa zu gleichen Zeit wie dieses Buch, immerhin 22 Jahre nach dem angeblichen Ereignis. Bis dahin wurde den Mitgliedern lediglich von einer Engelserscheinung im Zusamenhang mit den goldenen Platten berichtet. Daher war dies in den Köpfen der Mitglieder der Ausgangspunkt der Kirche und nicht eine erste Vision. In diesem Licht ist der Ansatzpunkt Hydes auch vollkommen einleuchtend.

      Dennoch zeigt Hyde, daß er als Apostel gut informiert ist und nimmt die erste Vision trotzdem in seinen Bericht auf. Auf die Unterschiede soll hier nur wegen der Bedeutung, die die Kirche dem angeblichen Ereignis in heutiger Zeit beimißt, näher eingegangen werden. Joseph hatte sein fünfzehntes Jahr erreicht. Das kann nicht gleichgesetzt werden mit ‘im fünfzehnten Lebensjahr sein’ und bedeutet daher, daß er fünfzehn Jahre alt war, im Gegensatz zu vierzehn der heutigen Darstellung. Weiterhin wird darauf hingewiesen, daß Joseph bereits vor der Vision entschieden hatte, daß keine Gemeinschaft die volle Wahrheit hatte. Das stimmt mit zeitigen Berichten überein, widerspricht aber späteren Darstellungen, wonach Joseph von sich aus nie auf so einen Gedanken gekommen wäre. Weiterhin räumt Hyde ein, daß es sich um ein Gesicht handelte, das weit ab von der Realität stattfand. Heute stellt die Kirche das Ereignis gern als eine vollkommen klare und greifbare Begebenheit dar. Der Knackpunkt ist jedoch die Darstellung, daß von zwei himmlischen Personen die Rede ist, die eine Nachricht vom Herrn überbringen. Damit kann es nicht der Herr gewesen sein, und die strikte Anonymität dieser Personen bleibt gewahrt, offenbar waren es unbedeutende Boten. Falls Hyde eine Identifizierung mit Gott Vater und Christus bekannt gewesen wäre, hätte er dies mit Sicherheit nicht verschwiegen. Dieses Buch belegt in klarer, unwiderlegbarer Weise, daß es die Geschichte von der ersten Vision bei Gründung der Kirche und lange danach noch nicht gab und sich erst später entwickelt hat.

      Zum Besuch des Engels am 21. September 1823, von dem um die Zeit der Kirchengründung bereits gesprochen wurde, ist vor allem anzumerken, daß dieser zwar vielfältig umschrieben wird, aber nie ein Name genannt wird. Es könnte sich hier um eine Vorsichtsmaßnahme Hydes handeln, da in der Geschichte zwei Namen auftauchen, nämlich Nephi und Moroni, zudem noch ein kleiner Dämon, so daß ein namenloser Engel die sichere Seite darstellte. Das Problem wird uns im nächsten Kapitel wieder begegnen. Weiterhin gibt es noch einige technische Unterschiede. So ist von einem plötzlichen Licht die Rede, während heute von einem allmählich anwachsenden Licht gesprochen wird. Die Erscheinung am nächsten Tag soll auf dem Feld stattgefunden haben, nicht am Zaun um ein Feld herum, und Josephs Vater wird ebenfalls nicht erwähnt. Die ausführliche Darstellung mit den Heeren Satans fand auch keinen Eingang in die offizielle Version.

      Ein weiteres deutliches Anzeichen für die Gewichtung der beiden Berichte stellt ihre Länge dar. Während den Ereignissen vom 21./22. September neun Seiten zur Verfügung stehen, nimmt die erste Vision gerade mal eine einzige ein.

      Zum Abschluß wird noch ein interessanter Hinweis zur Übersetzungsweise der goldenen Platten gemacht. Heute verbildlicht die Kirche diese Art gern dadurch, daß Joseph angestrengt auf das Brilleninstrument sieht, das auf den Platten liegt, während Oliver seine Zitate niederschreibt. Die hier vorliegende Beschreibung ist wesentlich näher an der Wahrheit. Joseph zog sich seinen Hut über das Gesicht und sah hinein. Darin war allerdings meist sein Seherstein und nicht der Urim und Thummim platziert. Da die Platten dabei meist in ihrem Versteck lagen, kann man wieder einmal sehen, wie weit die heutige Darstellung von der Wahrheit entfernt ist. Dieser Bericht bestätigt die Wahrheit jedoch.